Über die neuesten Erkenntnisse aus der Forschung für Demenztherapie diskutieren ab heute zwei Tage lang 200 Wissenschaftler beim ersten internationalen Kongress „ResDem“ in München. Wir sprachen mit Kongresspräsident Prof. Robert Perneczky darüber, wie sich jeder selbst vor Demenz schützen kann.
-Warum ist ein solch neuer Kongress nötig?
Es gibt weltweit viele Kongresse zur Demenz, aber zum Thema kognitive Reserve gibt es keinen. Es beschreibt das Phänomen, wieso es Menschen gibt, die sozusagen ein „besseres“ Gehirn haben – also mehr Alzheimerschäden aushalten und trotzdem nicht dement werden.
-Können Sie das bitte genauer erklären?
Es ist bekannt, dass Hirnschädigungen nicht unbedingt zu Symptomen führen. Es gibt zum Beispiel Menschen, die haben einen alzheimerbedingten Gehirnabbau, sind aber noch geistig fit. Und dann gibt es andere, die kaum Alzheimer-typische Veränderungen haben und dement sind. Das heißt, es gibt Unterschiede im Gehirn. Das Thema des Kongresses lautet daher: Was ist ein gutes Gehirn? Und wie kann man diese Erkenntnisse nutzen, um die Demenzprävention zu verbessern, damit Menschen auch im hohen Alter geistig fit bleiben?
-Was ist ein gutes Gehirn?
Zum Beispiel kann das eines sein, das besser verschaltet ist. Die Nervenbahnbündel, die wie Autobahnen durch unser Gehirn laufen, sind hier besser vernetzt und stärker. Auch der Informationsaustausch zwischen strategisch wichtigen Gehirnanteilen ist besser. Der Zuckerstoffwechsel ebenfalls, das heißt, das Gehirn arbeitet effizienter. Da es auch mehr Synapsen hat, also mehr Verbindungen zwischen Nervenzellen, kann auch mehr verloren gehen, bevor man etwas merkt. Es gibt noch viel mehr – aber das sind einige der neuesten Erkenntnisse, die sich zum Beispiel per Kernspintomografie messen lassen.
-Wie bekommt man so ein Gehirn – ist das Glück?
Das ist eine Kombination aus Glück und Lebensgewohnheiten. Beim Glück spielen die Gene eine Rolle und die frühkindliche Entwicklung, auf die Erwachsene keinen Einfluss mehr haben. Wie ich mich in den ersten Lebensjahren ernährt habe, hat einen Einfluss auf die Größe des Gehirns. Je größer das in der Kindheit ist, desto mehr Reserven habe ich, mit denen ich mehr Alzheimer wegstecken kann. Das ist eine wichtige und neue Nachricht an die Bevölkerung. Auch die Schulbildung scheint einen großen Einfluss zu haben. Deswegen sollte die Politik mehr in Bildung investieren: Besser Gebildete genießen einen Schutz, denn sie haben meistens bessere Lebensumstände.
-Worauf kommt es an?
Wichtig ist: Habe ich eine mediterrane Diät, die schützend wirkt, oder habe ich Übergewicht, eine fleischlastige Ernährung, trinke Alkohol und rauche ich – was alles schädigend wirkt. Viel körperliche Aktivität schützt dagegen vor Demenz. Man kann sagen, alles, was das Herz-Kreislauf-System positiv beeinflusst, hilft auch dem Gehirn. Sonst werden die Gefäße geschädigt, die das Gehirn kaputt machen – das Risiko steigt. Und man sollte sein Gehirn benutzen, also: mit anderen Leuten reden, nachdenken, reagieren, sich fortbilden, wach bleiben. Kreuzworträtsel und Sudoku helfen, wenn ich das gerne mache. Nicht, wenn ich das mache, um mein Gehirn zu kräftigen. Das Hirn ist kein Muskel. Wenn man trotz Unwollens ins Fitnessstudio geht, werden bei einem harten Training die Muskeln kräftiger. Das funktioniert beim Hirn nicht.
-Sollte ein 70-Jähriger die Tipps noch befolgen?
Studien zeigen: Wenn man im fortgeschrittenen Alter noch etwas ändert, bietet das immer noch einen Schutz. Besser ist es natürlich, wenn ein 20-Jähriger damit anfängt. Aber sogar bei Menschen, die mit 80 Jahren schon Symptome der Alzheimer-Erkrankung zeigen, gestaltet sich dann der Krankheitsverlauf günstiger.
-Nimmt man nur Braten und Bier zu sich und sitzt vor dem TV, bekommt man also Alzheimer?
Auf die Bevölkerung bezogen kann man das so sagen. Aber für den einzelnen Menschen ist das schwer, denn er kann genetisch gut ausgestattet sein und Glück haben. Es bekommt auch nicht jeder Lungenkrebs, der raucht. Aber im Schnitt ist das Risiko deutlich erhöht. In Europa hat man eine Explosion an Demenzfällen erwartet, denn das Alter ist der größte Risikofaktor. Wir werden älter, ergo nimmt die Demenz zu. Doch laut neuer Studien ist das bei uns nicht eingetroffen. Sie zeigen sogar, dass die Fälle zurückgehen – obwohl wir älter werden. Das hängt unter Umständen daran, dass wir uns besser um unsere Gesundheit kümmern. Das ist ein massiver Effekt, den kein Medikament erreichen kann. In Asien oder Afrika explodieren die Zahlen.
-Warum ist die Forschung bei Medikamenten so weit zurück?
Man hat noch nicht ganz begriffen, was die Krankheit verursacht. Man führt sie auf Eiweiß-Veränderungen im Gehirn zurück, die Ablagerungen, sogenannte Plaques, entstehen lassen. Studien haben gezeigt, dass spezielle Impfungen diese Plaques wohl gut abräumen. Das heißt, das Medikament wirkt gegen sie – aber offenbar nicht gegen den geistigen Verfall der Studienteilnehmer. Also kann es an den Plaques alleine nicht liegen. Es könnten auch gelöste Eiweiße sein, die sich nicht als Plaques abgelagert haben. Oder es ist eine Entzündung: Das Gehirn wehrt sich gegen die Eiweißansammlungen mit einer entzündlichen Reaktion und räumt so die Eiweiße ab. Später kommt es zur überschießenden Entzündung, die das Gehirn weiter schädigt. Man weiß das aber nicht genau, trotz bedeutender wissenschaftlicher Fortschritte.
-Welche neuen Erkenntnisse werden auf dem Kongress noch diskutiert?
Die Zusammenhänge zwischen Lebensgewohnheiten wie körperlicher Aktivität zum Beispiel und niedrigerem Demenz-Risiko waren bekannt. Neu ist, dass man durch bildgebende Verfahren wie Kernspintomografie die biologischen Mechanismen dieser Zusammenhänge untersuchen kann. Man kann nachweisen, dass Sport die Gehirnfunktion verbessert und die Netzwerke darin stärker macht. Das ist eine Forschungsrichtung, die jetzt anbricht. Auch verstehen wir besser, durch welche genetischen Merkmale die Gehirngröße festgelegt wird. Entdeckt man einen biologischen Weg, der mit einem Molekül zusammenhängt, kann man ein Medikament entwickeln, das auf das Molekül eine positive Wirkung hat. So könnte man die Schrumpfung des Gehirns während der Erkrankung hinauszögern.
-Stichwort Genetik: Wenn die eigene Mutter an Alzheimer erkrankt ist – habe ich ein höheres Risiko?
Nein, man muss sich keine Sorgen machen, solange nicht eine Häufung von Fällen in der Familie vorliegt. Es gibt in extrem seltenen Fällen familiäre Alzheimer-Erkrankungen, die weniger als ein Prozent der Gesamtfälle weltweit ausmachen. Das kann man in Tests an drei Genen feststellen, die Genetik hilft dem Einzelnen in der Mehrzahl der Fälle jedoch nicht weiter. Man kann nur sagen, dass man im Vergleich zur Bevölkerung ein so und so viel erhöhtes Risiko hat. Aber die Demenz-Entstehung ist eben ein multifaktorieller Prozess. Und es lohnt sich, so zu leben wie vorhin beschrieben. Denn nur weil man älter wird, heißt das nicht, dass man dem schutzlos ausgeliefert ist. Bei den 65-Jährigen sind ein Prozent betroffen, alle fünf Jahre verdoppelt sich dieser Wert dann. Das heißt, bei den 90-Jährigen sind es etwa 40 Prozent. Aber das bedeutet auch, dass über die Hälfte keine Demenz hat.
Interview: Angelika Mayr.
Neueröffnung
In München wurde das Zentrum für seelische Gesundheit im Alter und Demenzprävention an der Psychiatrischen LMU-Klinik eröffnet. Der Schwerpunkt liegt auf der Abklärung von Demenzerkrankungen im frühen Stadium bei über 60-Jährigen. Termine mit Überweisungsschein: Tel. 089/ 4 40 05 58 63.