Bayerischer Tourismustag

Blind Date im Bayerischen Hof

von Redaktion

von Magdalena Höcherl

München – Verschwommene Umrisse, hell und dunkel – „wie wenn du durch eine dicke Milchglasscheibe schaust“. So erklärt Saliya Kahawatte anderen, wie er die Welt sieht. Die Sehkraft des 47-Jährigen liegt bei fünf Prozent. Doch das sieht man ihm nicht an: Von Stock oder Blindenhund keine Spur – nur ein Assistent, der dezent hilft. Als der große, selbstbewusste Mann die Bühne im Festsaal des Hotels Bayerischer Hof betritt, ahnt kaum jemand, dass er fast blind ist.

Kein Wunder: Der Sohn einer Deutschen und eines Singhalesen beherrscht die Rolle des Sehenden perfekt. Um in der Arbeitswelt zu bestehen, hat er sie 15 Jahre lang gespielt. Gestern erzählte er seine Geschichte beim Tourismustag.

Wegen einer Netzhautablösung erblindete er als Jugendlicher fast vollständig. „Doch der Wechsel auf die Blindenschule kam nicht infrage“, sagt Kahawatte. Ehrgeizig kämpfte er sich durchs Abitur. Sein Ziel: eine Ausbildung in der Hotelbranche. Doch erst, als Kahawatte verheimlichte, dass er nicht sieht, bekam er einen Ausbildungsplatz in einem renommierten Hotel in Niedersachsen. Von da an stand er täglich vor neuen Herausforderungen.

Hindernisse, wie Kahawatte sie erlebt hat, will die Staatsregierung gerade im Tourismusbereich abbauen. Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) sagte: „Barrierefreiheit ist ein Qualitätsmerkmal der Zukunft und muss zum Standard werden.“ Weil ab 2030 jeder Dritte im Freistaat über 67 sein wird, müsse vorgebaut und investiert werden.

Daran dachte kaum jemand, als Kahawatte seine Ausbildung machte. Er musste hart trainieren. „Der Klang eines Kugelschreibers, den man gegen ein Glas stößt, verrät, ob es ordentlich poliert ist.“ Mit der Hilfe seiner Freundin übte er zwei Wochen lang zu Hause, eine Tafel millimetergenau einzudecken. Um die Gerichte richtig abzurechnen, lernte er 120 Artikelnummern auswendig. Schließlich wurde er Stationskellner in einem Hamburger Gourmetrestaurant, bediente Michael Jackson und die Rolling Stones. Seine Vorgesetzten bemerkten seine Behinderung nicht.

Vor 16 Jahren dann der Bruch: „Meine Lebenslüge lastete schwer auf mir.“ Er kündigte, hatte Suchtprobleme, wurde depressiv, kam in die Psychiatrie. Unterkriegen ließ er sich nicht, nach der Therapie wollte er wieder in die Hotelbranche. Mit Sprachcomputer und Lesegerät studierte er in Hamburg Hotelbetriebswirtschaft. Er schrieb über 250 Bewerbungen – ohne Erfolg. „Ich wurde nur auf mein Handicap reduziert.“ Er fand keine Arbeit, beantragte Hartz IV.

Doch Kahawatte gab nicht auf. Er schrieb seine Geschichte auf und finanzierte so sein eigenes Unternehmen. Heute arbeitet er als Motivationstrainer und Kommunikationsberater. Seine Autobiografie wurde verfilmt: „Mein Blind Date mit dem Leben“ kam Anfang des Jahres in die Kinos. 2015 gründet er die Saliya Foundation, die sehbehinderte Menschen und Arbeitgeber zusammenbringt. Wie nötig diese Plattform ist, zeigen die Zahlen. Laut Kahawatte waren vor 30 Jahren 20 Prozent der Menschen mit einer Behinderung seiner Stärke in die Arbeitswelt integriert. „Heute sind es weniger als ein Prozent.“ Barrieren abbauen, lautet daher sein Appell.

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