München – Am Ende war von dem Bus nur noch ein skeletthaftes Metallgerippe übrig. Die Bilder von dem schrecklichen Unfall auf der A 9 bei Münchberg im Juli mit 18 Toten haben sich ins Gedächtnis gebrannt. Nach Abschluss der Ermittlungen war klar: Die Technik hat funktioniert, als Unfallursache bleibt nur noch die Vermutung, dass der Fahrer wohl abgelenkt gewesen sein musste – und deshalb mit hoher Geschwindigkeit in ein Stauende krachte.
Wie oft Unfälle passieren, weil die Verursacher abgelenkt waren, ist statistisch schwer zu fassen. Ablenkung am Steuer wird für 10 bis 30 Prozent der Unfälle mitverantwortlich gemacht, nach anderen Studien sogar für zwei von drei Unfällen. Grund genug für Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU), die diesjährige Verkehrssicherheitskonferenz unter das Thema „Ablenkung im Straßenverkehr“ zu stellen. Ablenkung im Straßenverkehr verdoppele das Unfallrisiko, sagte Herrmann – und kündigte an, dass die bayerische Polizei künftig verstärkt gegen Verstöße vorgehen werde.
Bei den Vorträgen der Konferenz-Teilnehmer wurde deutlich, durch was sich Autofahrer besonders gerne ablenken lassen. Neben dem oft schon zur Gewohnheit gewordenen Blick aufs Smartphone sorgt auch Stress für eine verminderte Aufmerksamkeit, erklärte ADAC-Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino. Egal ob durch blendende Sonne, Nebel, Zeitdruck oder die Enge auf den Straßen verursacht, führt Stress dazu, dass sich das Blickfeld verengt. Dieser Tunnelblick sei der eingeschränkten Wahrnehmung nach Alkoholkonsum nicht unähnlich – und führe immer wieder zu Unfällen.
Doch Ablenkung ist nicht nur bei Autofahrern ein Thema: Chiellino berichtete auch von einer vom ADAC durchgeführten Studie, für die mehr als 7000 Radfahrer vor deutschen Berufsschulen und Universitäten beobachtet wurden. Das Ergebnis: Zwei Prozent hatten ihr Handy in der Hand – und ganze zehn Prozent waren mit Kopfhörer unterwegs.
Michael Reisch vom Münchner Polizeipräsidium erklärte, dass laut Schätzungen mittlerweile mehr Menschen wegen Ablenkung am Steuer tödlich verunglücken als wegen überhöhten Alkoholkonsums. „Man muss sich mal vorstellen, dass schon bei Tempo 50 ein Blick von einer Sekunde auf das Smartphone 14 Meter Blindflug auf der Straße bedeutet“, sagte Reisch. Erst mit dieser Rechnung werde Handysündern am Steuer nach einer Kontrolle oft klar, wie gefährlich ihr Verhalten ist.
Besonders bei Brummifahrern, also denjenigen, die auf der Straße quasi ihren Arbeitsplatz haben, ist die Ablenkung allgegenwärtig, wie Gerhard Klein vom Lkw-Bauer MAN beschreibt. Laut einer Studie, die die MAN mit ihren Kunden durchgeführt hat, nutzt rund ein Drittel der befragten Lastwagenfahrer das Handy während der Fahrt. Genauso viele gaben an, in der Kabine zu essen und zu trinken – manche kochen sogar Kaffee während der Fahrt.
Schuld sind nach Meinung von Verkehrsforscher Berthold Färber aber nicht ausschließlich die Fahrer selbst. Denn auch andere Faktoren würden zur Ablenkung beitragen. Er kritisiert etwa zu unübersichtliche Verkehrsschilder, auf denen man lange suchen muss, bis man erkennt, welche Ausfahrt man nehmen muss. Und auch die sogenannten Streckenbeeinflussungsanlagen auf den Autobahnen seien in Bayern verbesserungswürdig. „Oder wissen Sie immer, welche Geschwindigkeitsbegrenzung gerade gilt?“ All das sind Dinge, die die Aufmerksamkeit vom Wesentlichen ablenken: Vom Blick auf die Straße.