München – Die Schöffenrobe ist ein unsichtbares Kleidungsstück, das nicht leicht abzulegen ist. Das hat Teresa Fach wieder gemerkt, als vor ihr auf der Anklagebank ein Pädophiler saß, der kleine Kinder nackt und in aufreizenden Posen fotografiert hatte. Im Namen des Volkes hat sie über ihn Recht gesprochen. Fach, 55, ist Hilfsschöffin, Laienrichterin, am Landgericht München I. Dabei trägt sie zwar keine Richterrobe, aber Mitverantwortung für das Urteil. Und sie denkt oft an die Prozesse, in denen sie menschliche Schicksale erlebt hat, verdichtet auf ein paar Verhandlungstage.
4497 Schöffen wie Teresa Fach gibt es in Bayern, deren Ehrenamt in diesem Jahr endet. Denn 2018 ist Schöffenwahljahr: Die Gerichte suchen derzeit Laienrichter, die sich für die nächste fünfjährige Amtsperiode bewerben. Fach hat seit 2013 über Kinderschänder, Drogendealer und psychisch kranke Gewalttäter geurteilt. Trotz der „ziemlich heftigen Bandbreite an Fällen“, wie sie sagt, hofft sie auf eine zweite Amtszeit. Weil sie an das Rechtssystem glaubt und dazu beitragen will.
Der pädophile Fotograf sitzt nun für rund fünf Jahre im Gefängnis. Fach ist zufrieden mit dem Urteil: „Von außen betrachtet, scheint das manchen vielleicht zu wenig. Wenn man am Urteil mitgewirkt hat, sieht man das anders.“ Es flossen das Geständnis und ein Täter-Opfer-Ausgleich ein. „Unser Rechtssystem funktioniert sehr gut“, sagt Fach. Wie sich die Richter „exakt und trotzdem menschlich zugewandt“ das Urteil erarbeiteten, habe ihr imponiert. Die Kritik an einer „Kuscheljustiz“ kann sie nicht nachvollziehen.
Pauschal zuraten will Fach zum Schöffenamt nicht: „Man muss sich das gut überlegen“, sagt sie. Denn die Prozesse (bis zu zwölf im Jahr) kann man sich nicht aussuchen. Einmal zum Schöffen gewählt, ist man fünf Jahre in der Pflicht. Für einen Verdienstausfall bekommt ein Schöffe zwar eine Entschädigung, aber Stress im Job oder Urlaubspläne gelten nicht automatisch als Grund, eine Sitzung zu verpassen.
Doch Fach hat ihre Bewerbung nicht bereut. Die freiberufliche Kommunikationsberaterin suchte ein forderndes Ehrenamt und interessierte sich für Rechtsthemen – auch wenn sie bisher damit keine Erfahrung hatte. Für Laienrichter ist ein Jurastudium auch keine Voraussetzung, im Gegenteil: Schöffen sollen Rechtssprechung „lebensnah und verständlich“ machen, indem sie als Bürger ihre eigenen Überzeugungen Berufs- und Lebenserfahrung in die Verhandlungen einbringen, heißt es aus dem Justizministerium.
Und Teresa Fach hat das Gefühl, dass die Richter ihr zuhören. „Man muss sich trauen, den Mund aufzumachen“, sagt sie. Bei ihrem ersten Prozess sei sie natürlich aufgeregt gewesen, fürchtete, etwas falsch zu machen. Inzwischen, nach gut vier Jahren, kennt sie die Abläufe. Doch zur Normalität wurde es nie. Sie hat gesehen, wie Familien auseinanderbrechen, wie Mütter angesichts der Verbrechen ihrer Söhne in Tränen ausbrachen. „Es geht immer um menschliche Schicksale“, sagt Fach.
Als Vorbereitung auf das Amt organisierte das Gericht eine Führung durch das Gefängnis Stadelheim, die Fach nie vergessen wird. „Die Freiheit ist weg. Die Leute dürfen nicht einmal mehr entscheiden, wann sie duschen gehen, das ist bedrückend“, sagt sie. „Da sieht man, was es bedeutet, wenn man Recht über einen Menschen spricht.“ Und auch für das eigene Leben hat sie eine Lehre aus den Erfahrungen als Schöffin gezogen: „Keine Dummheiten machen!“, sagt sie und lacht.
Als Schöffe bewerben
kann man sich im Rathaus seiner Heimatgemeinde. Besonders auf dem Land werden vielerorts dringend Laienrichter gesucht. Weitere Informationen: www.justiz.bayern.de/service/schoeffen/