Sindelsdorf – Rund um Martin Sonner wummert und dröhnt es. Der 48-Jährige steht im Keller seiner Mühle in Sindelsdorf (Kreis Weilheim-Schongau). Dort klappert kein Mühlrad – das Wasser rauscht unsichtbar durch eine rot lackierte Turbine, die den Betrieb am Laufen hält. „So sieht das heute aus“, sagt der Müller. Mit dem Daumen wischt er Staub von der Plakette mit dem Baujahr der Maschine: 1978.
Mit Wasserkraft arbeitet die „Off Mühle“ in Sindelsdorf schon länger. Viel länger. Von 1341 stammt die erste urkundliche Erwähnung. Seitdem lieferte der Sindelsbach die Antriebskraft für die Mahlwerke. 1918 ersetzte der damalige Müller und Großvater von Sonners Frau das Mühlrad durch eine Turbine. Das Prinzip blieb das gleiche: Sie treibt über Transmissionsriemen direkt die Mahlwerke der Mühle an – oder einen Stromgenerator. Der Zehn-Mitarbeiter-Familienbetrieb verarbeitet so Bio-Getreide aus der Region. Das Geschäft läuft, regionale Lebensmittel sind wieder gefragt.
Nach fast 700 Jahren könnte in der „Off Mühle“ aber bald Schluss sein mit der Wasserkraft, das fürchtet jedenfalls der Müller. Denn das bayerische Umweltministerium überarbeitet derzeit den sogenannten Mindestwasserleitfaden. Der gibt vor, wie viel Wasser ein Kraftwerk aus einem Bach oder Fluss ausleiten darf. Das Ziel: Im Bachbett soll mehr Wasser übrig bleiben, damit Fische, Insekten und Pflanzen bessere Überlebenschancen haben.
Naturschützer freut das. „Zu oft rauben Kraftwerke den Flüssen alles Leben“, beklagt der WWF. Viele einst häufige Fischarten, die auf die Durchgängigkeit der Flüsse angewiesen sind, um zu ihren Laichgründen zu kommen, seien vom Aussterben bedroht. Schuld daran hätten gerade Kleinwasserkraftwerke: Sie trügen, so der WWF, wenig zur Stromerzeugung bei, zerstörten aber große Abschnitte natürlicher Flüsse.
Auch im Umweltministerium sieht man Handlungsbedarf. „Wir wollen eine naturverträgliche Wasserkraft“, sagt Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU). Dafür brauche es einen „sinnvollen Interessenausgleich zwischen ökologischen und ökonomischen Belangen“. Zusätzlich herrscht rechtlich Druck: Laut WWF droht Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren der EU, wenn es nicht bald die 2000 vereinbarte Wasserrahmenrichtlinie flächendeckend umsetzt.
Die Vereinigung Wasserkraftwerke in Bayern befürchtet jedoch, dass den Kleinkraftwerksbetreibern mit dem neuen Leitfaden wortwörtlich das Wasser abgegraben wird. Die Auflagen seien überzogen, die rund 2800 betroffenen Anlagen „existenziell gefährdet“. Ohnehin sei Wasserkraft die CO2-ärmste Form, Energie zu gewinnen. Der Interessenverband rechnet mit Erzeugungseinbußen von bis zu 50 Prozent.
Martin Sonner von der „Off Mühle“ glaubt nicht, dass er dann die Turbine im Mühlenkeller weiterlaufen lässt. Die Instandhaltungskosten würden wohl den Nutzen übersteigen. „Irgendwann rentiert es sich halt nicht mehr“, sagt er. „Dann müssen wir mehr Strom aus dem Netz zukaufen.“ Dabei versuche er, ökologisch zu wirtschaften. Auf dem Hof der Mühle kurvt ein Elektro-Gabelstapler umher, der wie ein Teil der Maschinen von Solarstrom angetrieben wird. „Autark werden, das wäre mein Traum“, sagt Sonner. Doch EEG-Umlage und Stromsteuer hätten ihm weitere Solarmodule verleidet. „Die Bürokratie ist das Problem.“ Seine Mühle, befürchtet Sonner, könnte als Sündenbock herhalten müssen – für Fehler anderer, etwa bei Flussbegradigungen oder der Flächenversiegelung.
Wenn Schulklassen zu Besuch an die „Off Mühle“ kommen, fragt Sonner sie gerne, weshalb die Mühle genau an dieser Stelle stehe. „Weil da der Bach ist“, lautet dann die Antwort. „Wenn ich den nicht mehr nutzen könnte“, sagt der Müller, „dann käme ich mir schon ein bisserl blöd vor.“