Als der König stirbt, ist das Schloss eine Baustelle. Ludwig II. steigt über Holzbalken, atmet den Duft frischer Farbe und schläft nachts auf einem Kanapee im Spiegelsaal, bevor er Schloss Linderhof im Juni 1886 für immer verlässt. Der letzte Auftrag, den der Monarch für Linderhof erteilt, ist die Vergrößerung des Schlafzimmers. Untertags, wenn der König unterwegs ist, wird gearbeitet. Das Schlafzimmer, das man heute in Linderhof besichtigen kann, bekommt der Kini allerdings nie zu Gesicht. Ludwig II. erlebt nicht mehr, wie seine Vision von Schloss Linderhof fertiggestellt wird.
„Es stimmt nicht, dass Linderhof das einzige vollendete Schloss Ludwigs II. ist, auch wenn das bei Führungen behauptet wird“, sagt Marcus Spangenberg. Allerdings, erklärt der Autor von „Linderhof – Erbautes und Erträumtes im Gebirge“, sei es „unter seinen drei Schlössern das, in dem sich der König am häufigsten aufgehalten und am längsten gewohnt hat“.
Die Rolle des Schlosses bei Ettal im heutigen Kreis Garmisch-Partenkirchen war immer die eines Lieblingsortes: Ludwigs Vater Maximilian II. hatte den „Linder Hof“, einen Militärfohlenhof, in den 1840er-Jahren entdeckt und nutze ihn für „Jagdparthien“. So kam auch seine Familie häufig in die Region. Nach dem Tod des Vaters stürzte sich der junge König in seine Bauvorhaben. „Die Höhenlage ist eigentlich nicht geeignet für so eine Schlossanlage“, sagt Spangenberg. „Schon zur Zeit Ludwigs war die Gesamtanlage in einem bröseligen Zustand.“
Die Pläne des Königs beschränkten sich jedoch nicht auf das Schloss, er hatte das ganze Tal im Blick, in dem er an von ihm gewählten Stellen Bauten verschiedenster Einflüsse errichten wollte: germanisch, byzantinisch, orientalisch, chinesisch. Am Fuß der Alpen, so Marcus Spangenberg, fand König Ludwig II. optisch ideale Voraussetzungen, um für unterschiedliche Stimmungen und Bedürfnisse zu bauen. Wichtig sei dabei auch die richtige Distanz zwischen den Gebäuden gewesen. Dem Kini ging es auch um das Gefühl des Reisens, wenn er zwischen seinen Besitztümern hin und her pendelte.
„Modern gesprochen würde man die Gegend mit Schloss Linderhof im Mittelpunkt als Themenpark bezeichnen“, sagt Spangenberg. Einer, den der König für sich erdachte und nicht zur Festigung der Monarchie. Im Gegenteil: Mit jedem Symbol für Herrschaft und Königtum, das der Regent schuf, wurde die Monarchie als Staatsform schwächer. „Verstärkt wurde dies durch die Tatsache, dass Ludwig II. exklusiv für sich selbst (und von seinem privaten Vermögen) baute.“
Wie viel der Bau von Schloss Linderhof und den Gebäuden in der Region gekostet hat, ist nicht klar. „Sicher ist aber, dass alles zusammen weniger gekostet hat als Schloss Herrenchiemsee“, sagt Spangenberg. „Das ist das teuerste von allen Schlössern – auch teurer als Neuschwanstein.“
Als Bauherr war Ludwig II. für häufige und spontane Planungsänderungen bekannt. „Seine Wünsche haben sich zum Teil egalisiert. Er hatte zum Beispiel ein byzantinisches Projekt, das er 1869 aufgreifen wollte, beiseitelegte, und das dann 1885 in einer ganz anderen Form plötzlich wieder auftauchte.“ Einige Teile des großen Projekts im Graswangtal starben mit dem König.
Nach Ludwigs Tod im Starnberger See gingen seine Schlösser an die „Administration des Königs Otto von Bayern“ über. Der Bruder, bereits seit den 1870ern als Geisteskranker in Nymphenburg und Fürstenried interniert, war offizieller Erbe. Erst 1923 gingen die Schlösser an den Staat, die Bayerische Schlösserverwaltung wurde gegründet. Schnell entschied man sich, die Schlösser der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – dafür musste auf Linderhof aber erst die Baustelle beseitigt werden. „Man hat es nach den Plänen Ludwigs vollendet: die Deckenmalereien, die Paneelen und die Ausstattung. So ergibt sich das Gesamtbild, das wir heute sehen“, sagt Marcus Spangenberg. Ein Gesamtbild, das der Mann, der es erdachte, nie sah. Kathrin Brack
Das Buch
„Linderhof – Erbautes und Erträumtes im Gebirge“ von Marcus Spangenberg, Verlag Friedrich Pustet, 128 Seiten, 20 Euro.