Kein Wölkchen am Himmel! Ein Sommertag, um die Seele baumeln zu lassen. Soll ich ihn genießen oder anpacken, was ich schon so lange vor mir herschiebe? Ich entscheide mich für die Pflicht. Getreu dem chinesischen Sprichwort: „Willst du dein Leben in Ordnung bringen, räume deinen Schrank auf.“
Mich von Kleidung zu trennen, fällt mir leicht. Rüschenblusen, die ich seit Jahren nicht getragen habe, gefallen mir 2020 mit ziemlicher Sicherheit auch nicht besser. Auch zwei Kostüme wechseln leichten Herzens die Besitzerin. Und was Schuhe angeht: Meine Leidensfähigkeit hat abgenommen. So elegant einige Modelle auch sein mögen – zehn Zentimeter High Heels müssen nicht mehr sein. Mit meiner Entscheidungsfreudigkeit bin ich offenbar nicht allein. Rund eine Milliarde Kleidungsstücke landen jährlich in der Altkleidersammlung.
Das Ausmisten von Keller und Speicher wiederum ist eine andere Baustelle. Zackig geht hier gar nichts: Kisten mit losen Fotos, aber auch liebevoll zusammengestellte Alben mit reich verziertem Lederdeckel und mit Goldschnitt versehen. Ich begebe mich auf eine Zeitreise, betrachte lächelnd meine Urgroßeltern, fein gemacht für den Besuch beim Berufsfotografen. Ein feierliches Ereignis. Entsorgen? Nein, natürlich bleiben sie. Vielleicht haben meine Enkel Spaß daran.
Ach, und da bin ja ich, als Dreijährige in meinem ersten Dirndl! Wehe, es wäre in einem digitalen Album gewesen. Immer wieder habe ich das Foto in den vergangenen Jahren herausgenommen und kopieren lassen. Kinderbilder von mir füllen ein einziges Album.
Heutzutage wird nicht mehr lange überlegt, ob sich ein Motiv auch tatsächlich lohnt. Erziehungswissenschaftler schätzen, dass jedes Kind bis zu seinem 18. Geburtstag 130 000 mal fotografiert wird. Der erste Brei, das erste Krabbeln, der erste Schritt. Die erste Generation, die sich dank Smartphone selbst aufwachsen sieht. Ich muss gestehen, dass ich mich mit der digitalen Welt noch nicht angefreundet habe.
Vor mir stehen nun die Kartons mit aufbewahrten Briefen. Natürlich vertiefe ich mich und lese Zeilen von Weggefährten. Berührendes und Lustiges. Und was ist mit den hunderten von Zeitungsausschnitten, die ich jahrzehntelang sorgsam archivierte? Da und dort entdecke ich auf Fotos jemanden, der sich über die kleine Erinnerung an alte Zeiten freuen könnte. Was damit machen? Ganz einfach: Ich stecke den einen oder anderen Artikel in ein Kuvert, schicke ihn an den Adressaten mit der Bemerkung: „Statt in meinem Papierkorb kann er in deinem landen“. Die Reaktion darauf ist immer nett, fast jeder freut sich über diesen unerwarteten Gruß.
Nach drei Stunden Ausmisten ist das Ergebnis kärglich: Vor mir liegt nur ein kleines Häuflein, dem ein Ende im Reißwolf garantiert ist. Aber jetzt geht’s richtig munter weiter. Über meine DDR-Briefmarkensammlung, die ich einst als Dankeschön für hochwillkommene Schokoladen-Päckchen erhielt, freuen sich die Behindertenwerkstätten in Bethel-Bielefeld.
Ach, und da sind noch die unzähligen Langspielplatten. Nat King Cole, Roy Black, Anneliese Rothenberger… es nimmt kein Ende. Doch der Anfang ist gemacht. Verschenken – natürlich die beste „Entsorgung“. Und schließlich gibt es ja auch noch unseren großartigen Wertstoffhof mit seinem freundlichen Personal. Für heute reicht es mir aber mit dem Ausmisten! Eigentlich ist meine Seele schon total aufgeräumt. Schnell hinaus an die frische Luft und den herrlichen Sommerabend genießen…
Herzlich Ihre Carolin