Das Erbe des Traumpfad-Entdeckers

Ludwig Graßler hat einen Großteil seines Lebens in den Bergen verbracht – und dort Spuren hinterlassen, die sein Leben überdauern. Der Mann, der den Fernwanderweg von München nach Venedig ausgekundschaftet hatte, ist nun gestorben. Sein Wanderrucksack war fast bis zuletzt im Einsatz.

VON KATRIN WOITSCH UND VOLKER UFERTINGER

Wolfratshausen – Der 8. August war im Leben von Ludwig Graßler ein wichtiges Datum. Die Acht steht für Unendlichkeit – und ist damit ein Symbol für das, was viele Bergsteiger auf den Gipfeln erleben. Deshalb gab es kein passenderes Datum für Wanderbegeisterte aus ganz Bayern, um sich einmal im Jahr, Punkt 8 Uhr natürlich, auf dem Marienplatz in München zu treffen. An diesen Treffen ist Graßler nicht ganz unschuldig. Denn am 8. August dreht sich in den Gesprächen auf dem Marienplatz alles um den Fernwanderweg von München nach Venedig. Einige Wanderer wollen sich austauschen, andere starten von dort aus gemeinsam auf die 550 Kilometer lange Traumroute, die Graßler einst ausgekundschaftet hatte.

Gelegentlich schnürte er selbst gern seinen Wanderrucksack und kam zu dem jährlichen Treffen. Auch vor vier Jahren war er noch dabei – im Alter von 90 Jahren. Damals ging er nur noch einen Abschnitt lang mit. „Die gesamte Strecke nach Venedig ist mir inzwischen zu lang“, sagte er. Nun ist Ludwig Graßlers letzter Wegabschnitt zu Ende gegangen. Er ist am vergangenen Donnerstag in seiner Wohnung in Waldram (Kreis Bad Tölz-Wolfratshausen) im Alter von 94 Jahren gestorben.

Sein Erbe für die Wanderbegeisterten ist jedoch groß. „Ludwig Graßler war ein Vordenker“, sagt Andrea Händel, Sprecherin des Deutschen Alpenvereins. „Er hat einen wichtigen Beitrag geleistet zur Erschließung der Alpen- und Mittelgebirge – und damit auch zur Völkerverständigung.“ Die von ihm ausgekundschaftete Strecke zähle heute zu den beliebtesten Nord-Süd-Überquerungen der Alpen und sei deshalb international als „Traumpfad“ bekannt. Die Treffen am 8. August seien einmalig. „Diese Gemeinschaft, die sich über die Jahre entwickelt hatte, war ihm zeitlebens sehr wichtig.“

Ludwig Graßler ist die Traumroute über 20 000 Höhenmeter in seinem Leben fünfmal komplett gegangen. „Jedes Mal war anders und auf seine Weise besonders“, sagte er vor vier Jahren. „Weil man anderen Menschen begegnet, weil die Hüttenabende nie dieselben sind.“ Die unvergesslichste Wanderung war natürlich die erste – und die begann 1972 als tollkühner Plan. Denn für die Route von München nach Venedig standen nur mehr oder weniger genaue Karten zur Verfügung, Internet und GPS waren damals noch nicht erfunden. Das Auskundschaften war mühselige Kleinarbeit. Mit 48 Jahren und zwei Begleitern gelang es ihm 1974 beim zweiten Versuch. Nach und nach sprach sich herum, wie schön der Traumpfad von Ludwig Graßler ist. Drei Jahre später veröffentlichte er sein Buch „Zu Fuß über die Alpen“ – inzwischen ein Klassiker.

Doch der Traumpfad ist nicht die einzige Strecke, die Graßler für etliche Wanderer ausgekundschaftet hat, berichtet die DAV-Sprecherin Händel. Er veröffentlichte auch ein Buch über einen kombinierten Rad- und Wanderweg, der von München nach Prag führt.

Ludwig Graßler hatte einen letzten Wunsch: Er wollte verbrannt werden, seine Asche sollte an seinem Traumpfad beigesetzt werden. Er wird in der Kapelle der Hallerangeralm im Karwendel beigesetzt. In den Bergen – dort wo er so viele glückliche Tage seines langen Lebens verbracht hat.

Montag, 4. Dezember 2023
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