Der Postminister als Garant des Erfolgs

75 JAHRE CSU Historiker Thomas Schlemmer über die turbulenten Anfangsjahre der Partei

Der 12. September 1945 gilt als das Gründungsdatum der CSU. An diesem Tag wurde bei einem Treffen im Münchner Rathaus der Name „Bayerische Christlich-Soziale Union“ beschlossen. Den Vorsitz übernahm der Anwalt Josef Müller, genannt Ochsen-sepp. Am heutigen Samstag feiert die Partei das in der Hanns-Seidel-Stiftung mit einer virtuellen Veranstaltung. Über die turbulente Anfangsphase der Partei sprachen wir mit dem Historiker Thomas Schlemmer vom Münchner Institut für Zeitgeschichte.

Die CSU ist bis heute – mit Einschränkungen – die dominierende politische Kraft in Bayern. Wie kam es dazu?

Im Rückblick sieht es so aus, als wäre die Geschichte der CSU eine lineare Erfolgsgeschichte. Mit nur kurzen Unterbrechungen stellt die CSU seit 1945 den Ministerpräsidenten, regierte jahrzehntelang mit absoluter Mehrheit. Auf den zweiten Blick erkennt man aber ein bewegtes Auf und Ab. Ein entscheidender Faktor für den Erfolg war aber sicher die Idee, die CSU als interkonfessionelle Union der bürgerlichen Mitte zu gründen, als große Sammlungsalternative zur Sozialdemokratie.

Anders als die Bayerische Volkspartei in der Weimarer Republik verstand sich die CSU also nicht als politische Stimme der katholischen Kirche?

Es gab schon vor 1933 Initiativen, die Kluft zwischen dem politischen Katholizismus und dem Protestantismus zu überwinden. Aber da war der konfessionelle Graben, den man sich heute ja kaum noch vorstellen kann, einfach zu tief. Der Nationalsozialismus war hier sicher eine Schlüsselerfahrung. Das nivellierte Grenzen. Früh erkannt haben das heute fast vergessene politische Köpfe, etwa der unterfränkische Zentrumspolitiker Adam Stegerwald oder der spätere erste CSU-Vorsitzende Josef Müller, der Ochsensepp. Der Gedanke, über eine Partei verschiedene Bevölkerungsschichten zu verbinden, als Union evangelischer und katholischer Christen aufzutreten und zwischen Alt- und Neubürgern zu vermitteln – immerhin gab es in Bayern bald bis zu zwei Millionen Vertriebene –, also das war neu.

Reibungslos verlief das aber nicht.

Es war eher eine Vernunftehe denn eine Liebesheirat. Das Misstrauen war lange groß, vor allem der evangelische Flügel argwöhnte, bei politischen Entwicklungen oder Personalentscheidungen benachteiligt zu werden. Es dauerte bis in die 1990er-Jahre, ehe der konfessionelle Gegensatz überwunden war. Heute spielt der Regional- oder auch der Geschlechterproporz eine viel größere Rolle als die Frage der Konfession. Es war aber in Bayern lange undenkbar, dass es einen evangelischen Kultusminister gibt. Er war katholisch – aber im Gegenzug musste der Staatssekretär zwingend evangelisch sein.

Aber dieser Proporz war der Erfolgsfaktor?

Ja. Schon bei den ersten Wahlen 1946 gewann die CSU, erzielte teils überragende Erfolge, wenn man nur daran denkt, dass sie bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Landesversammlung im Juni 1946 fast 60 Prozent holte.

Das hielt nicht lange an.

Schon ab 1946 zeigte sich, dass der Sammlungsgedanke ein großes Konfliktpotenzial in sich barg. Die Interessengegensätze hätten die Partei beinahe zerrissen. Hinzu kommt, dass seit 1948 immer mehr Parteien um Wählerstimmen werben konnten, etwa die Bayernpartei oder die Interessenspartei der Vertriebenen, der Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten, BHE. Bei der zweiten Landtagswahl 1950 lag die SPD das erste und einzige Mal vor der CSU, wenn auch nur knapp.

Die Bayernpartei hätte die CSU fast überflügelt. Wieso kam es anders?

Die Bayernpartei ist ein Phänomen der 1950er-Jahre. Aber sie dachte defensiv, rein bayerisch, während die CSU schon sehr früh einen bundespolitischen Anspruch formulierte. Der fehlte der Bayernpartei fast völlig, und das ist ein wichtiger Grund für ihren Niedergang. Die CSU war seit 1949 unter Adenauer Regierungspartei in Bonn, nahm dort auch ihren Gestaltungsanspruch sehr ernst. Bayern lag damals im Ländervergleich bei fast allen ökonomischen Kennzahlen auf den hinteren Plätzen. In den 1950er-Jahren begann ein Aufholprozess, wobei die CSU in Bonn Ministerien besetzte, die dabei hilfreich sein sollten.

Welche waren das?

1949 das Finanzministerium und die Ressorts für Landwirtschaft und Post.

Post?

Ja, das klingt heute ziemlich marginal. Erster Minister war Hans Schuberth, es folgten später Werner Dollinger, Richard Stücklen oder auch Wolfgang Bötsch. Die CSU stellte überdurchschnittlich oft den Postminister. Ein Postministerium gibt es ja nicht mehr. Doch es hatte seinerzeit einen bedeutenden Investitionsetat. Das nutzte Bayern beim Aufbau moderner Telekommunikation. Das Kraftomnibusnetz der Deutschen Bundespost verband bald die kleinsten bayerischen Dörfer mit den Stadtzentren.

Heute besetzt die CSU das Verkehrsministerium. Aus ähnlichem Eigeninteresse?

Durchaus. Es ist ja bis heute die Stärke der CSU, Bundesmittel nach Bayern zu leiten und die Infrastruktur im Freistaat zu modernisieren.

Die Geschichte der CSU ist ohne Franz Josef Strauß nicht denkbar. Was war seine Leistung?

Strauß war wahrscheinlich die bis heute bedeutendste Verkörperung des Politikansatzes, in Bonn das große Ganze zu verfolgen – ohne aber bayerische Interessen aus den Augen zu verlieren. Das gelang nach ihm – mit Abstrichen – nur noch Theo Waigel. Unter Strauß und nicht zu vergessen Alfons Goppel gelang es der CSU in einer Phase zwischen 1955 und 1974, die CSU in ganz Bayern zu verankern. Sie schaffte es, Fuß zu fassen in der Arbeiterschaft, in Städten und fränkisch-protestantischen Gebieten. 1974 ist der Höhepunkt dieser Entwicklung – da holte die CSU bei der Landtagswahl bis heute unübertroffene 62,1 Prozent.

Ist die Zeit dieser absoluten Mehrheiten vorbei?

Unter Edmund Stoiber 2003 gab es einen vergleichbaren Höhenflug, aber im Grunde sind solche Erfolge Vergangenheit. Die Gesellschaft pluralisiert sich zusehends, vereinzelt in einer Vielzahl von Lebensentwürfen – welche Partei könnte das alles noch zu einem großen Ganzen verbinden?

Schlechte Aussichten also für Markus Söder – trotz seines Umfragehochs?

Söder profitiert von den Auswirkungen der Pandemie, in der ja die Stunde der Exekutive schlägt. Das hat er unstreitig früh erkannt, ausgenützt – und die finanziellen Ressourcen Bayerns eingesetzt. Ob das auf Dauer trägt, ist jedoch zweifelhaft. Die CSU kam bei der letzten Landtagswahl auf 37 Prozent, dass sie zurück zur absoluten Mehrheit findet, da habe ich meine Zweifel.

Kann Söder denn Kanzler?

Die CSU stellte bisher zwei Mal den Kanzlerkandidaten. Strauß und Stoiber – und jedes Mal nur deshalb, weil sich die CDU in einer Krise befand. Die CSU wäre in fast jeder denkbaren Koalition die kleinste Regierungspartei, Söder müsste seinen Regierungsstil stark auf Kooperation ausrichten. Die Frage ist: Will und kann er das?

Das Interview führte Dirk Walter

Montag, 4. Dezember 2023
Bitte melden Sie sich an, um den Artikel in voller Länge zu lesen.
Per E-Mail teilen
Entdecken Sie das OVB ePaper in Top-Qualität und testen Sie jetzt 30 Tage kostenlos und unverbindlich.