München – Quinoa gilt als Superfood. Das sogenannte Pseudogetreide wächst auch auf nährstoffarmen Böden, ist energiereich, glutenfrei und enthält viele ungesättigte Fettsäuren. Durch die komplexen Kohlenhydrate in den Samen dauert die Verdauung lange – heißt: Quinoa macht satt. Doch züchterisch ist die Pflanze bislang wenig erschlossen, auch in Bayern wird sie, obwohl sie nicht nur bei Veganern und Vegetariern im Trend liegt, noch wenig angebaut. „Quinoa so zu züchten, dass wir die Anbaugebiete erweitern könnten, wäre eine große Chance“, sagt Prof. Stephan Clemens vom Lehrstuhl für Pflanzenphysiologie der Uni Bayreuth. Und das geht aus seiner Sicht mit der sogenannten Gen-Schere viel schneller und effektiver als mit klassischer Züchtung.
Um den Einsatz dieser neuen „CRISPR-Cas9“ genannten Technologie in der Pflanzenzüchtung ist eine Debatte entbrannt. Wissenschaftler sagen, die Technik hat das Potenzial, neben der Medizin auch die Landwirtschaft zu revolutionieren. Im vergangenen Jahr erhielten zwei Forscherinnen den Chemie-Nobelpreis für die Entschlüsselung und Beschreibung der Technologie. Doch es gibt auch Bedenken.
Vereinfacht beschrieben funktioniert die „CRISPR-Cas9“-Methode so: Wie mit einer Schere können Sequenzen aus der Erbinformation herausgeschnitten oder ausgetauscht werden. „Es ist keine Gentechnik im herkömmlichen Sinne“, sagt Clemens –weil kein fremdes Erbgut genutzt wird. „Wir verändern gezielt, wir kombinieren nicht neu.“
Bei der klassischen Züchtung wird mit natürlichen Mutationen und Kreuzungen gearbeitet. „Es wurde aber auch nachgeholfen“, betont Clemens. Etwa mit Chemikalien oder radioaktiven Strahlungen, die zusätzliche Mutationen auslösen. „Das ist die Schrotschussmethode“, sagt er. Im Vergleich dazu sprechen Wissenschaftler bei der Gen-Schere gerne vom Skalpell – präzise und schnell.
Denn bei der klassischen Züchtung kann es lange dauern, bis der gewünschte Effekt, etwa eine Krankheitsresistenz der Pflanze, eintritt. „Wenn wir diese Züchtung beschleunigen, kann uns das dabei helfen, den Chemie-Einsatz in der Landwirtschaft zu reduzieren. Und wir können die Ernährungsbasis auf der ganzen Welt verbreitern.“ Für Clemens ist die Gen-Schere ein Instrument gegen den Hunger auf der Welt. „Die Genom-Editierung bietet vor allem für die Länder eine Chance, in denen züchterisch bisher wenig entwickelt wurde.“ So sieht das nicht nur er. Unter anderem die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina spricht sich dafür aus, die Chancen der Pflanzenzüchtung zu nutzen.
Doch dafür braucht es ein neues europäisches Gentechnikrecht. Denn vor drei Jahren entschied der Europäische Gerichtshof, dass auch mit der Gen-Schere veränderte Pflanzen als genetisch veränderte Organismen („GVO“) gelten. Deren Anbau ist in Deutschland verboten. Auf Bitten der Mitgliedsländer will die EU-Kommission die Regulierung von Gentechnik in Europa überarbeiten. Dabei geht es auch um die Frage, ob die für die klassische Gentechnik geschaffenen Regeln bei der CRISPR-Gen-Schere noch zeitgemäß sind.
Christoph Then warnt davor, die Regulierung zu lockern. Then ist Geschäftsführer des Münchner Vereins „Testbiotech“, der die Entwicklung in der Gentechnik kritisch beobachtet. Er befürchtet, dass die ökologischen Netze gestört werden und neue Krankheiten für Pflanzen entstehen könnten, wenn die veränderten Pflanzen in Umlauf kommen. Ein zweiter Aspekt, der ihm Sorgen macht: „Die neue Gentechnik ist patentfähig.“ Then fürchtet, dass die Landwirte dadurch noch abhängiger werden von der Industrie. Zudem könnten sich die Patente auch auf konventionell gezüchtete Pflanzen erstrecken, wenn deren Eigenschaften mit der neuen Gentechnik nachgeahmt werden. „Wir müssen eine ehrliche Diskussion über die Risiken führen“, fordert Then. Die Regulierung dürfe nicht komplett aufgegeben werden, es brauche weiter eine Zulassungsprüfung für jede Pflanze.
Die Meinungen gehen also auseinander. Das wird auch beim Bayerischen Bauernverband deutlich. Denn dort hat man sich auch nach drei Jahren intensiver Diskussion noch nicht auf eine Position einigen können. „Wir sehen durchaus Potenziale der neuen Züchtungsmethoden“, sagt Gentechnik-Referent Johann Graf. „Wir nehmen aber auch die Bedenken der Verbraucher und mögliche Auswirkungen auf die Umwelt ernst.“ Und für die Bio-Bauern müsse ebenfalls eine Lösung gefunden werden. Denn bei ihnen ist der Einsatz von Gentechnik grundsätzlich verboten.
Stephan Clemens wünscht sich von der EU-Kommission eine Lösung, um mit der neuen Technik weiter forschen zu können. „Aktuell betreiben wir nur Grundlagenforschung, aber es gibt keine Feldversuche. Uns fehlt die Perspektive.“ Wenn es bei den bisherigen Regeln bleibe, werde Europa abgehängt.