Studie rechtfertigt Gamserl-Jagd

München – Seit vielen Jahren tobt ein Streit um das Gamswild in Bayern. „Wir Tierschützer, Wildbiologen und der Jagdverband hatten uns massive Sorgen gemacht“, sagt Tessy Lödermann, Vize-Präsidentin des Tierschutzbunds Bayern. „Die Politik musste reagieren.“
Das Forstministerium gab eine Untersuchung in Auftrag, bei der die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) zusammen mit den Forstbetrieben Bad Tölz und Ruhpolding über etwa fünf Jahre Daten erhob. Dabei zogen sie Methoden wie GPS-Telemetrie, Fotofallen-Monitoring und genetische Kot-Analysen heran. Damit trafen sie Aussagen über Populationsgröße, das Geschlechterverhältnis und räumliche Verteilung der Tiere in den Projektgebieten. Eine Kernaussage lautet: In den Forschungsgebieten im Karwendel und im Chiemgau tummeln sich auf 12 500 Hektar zwischen 1200 und 1500 Gämsen, auf die gesamte bayerische Bergwelt hochgerechnet wäre das eine Größenordnung von 26 000 Tieren. Staatsministerin Michaela Kaniber bilanzierte: „Unseren bayerischen Gämsen geht es weit besser, als manche vermutet haben.“ Die Gams in Bayern sei keineswegs gefährdet.
Eigentlich ein Grund zur Freude. Doch aus der Fachwelt kommt Kritik. Wildbiologin Christine Miller, die seit 40 Jahren zu Gämsen forscht, ist wütend. Die öffentliche Mitteilung zu dem Forschungsprojekt nennt die Expertin aus Rottach-Egern „schamlos und frech“, die getroffenen Aussagen „unseriös“ und „nicht transparent“. Die Zählungen seien im Schnellschuss durchgeführt worden. „Aus den aktuellen Daten kann nichts zum Zustand der Gamspopulation gesagt werden – weder positiv, noch negativ.“
Herangezogen wurden für die Untersuchung sowohl der Soiernkessel im Karwendel als auch die Kampenwand im Chiemgau, also zwei verhältnismäßig kleine Bereiche angesichts der riesigen bayerischen Bergwelt. „Diese Auswertung mit der ganzen Gegend zu multiplizieren, würde man im Geschäftsleben als ,Betrug’ bezeichnen“, entrüstet sich die Wildbiologin. Es werde lediglich nach einer Rechtfertigung gesucht, um den Abschuss von 4000 Tieren pro Jahr zu legitimieren.
Grundsätzlich gilt die Gams als international geschützte Tierart. Die Gämsen leben in felsigem Gelände, ihre spreizbaren Hufe verleihen ihnen Bewegungssicherheit, sie können bis zwei Meter hoch und bis zu sechs Meter weit springen, in abschüssigem Gelände können sie bis zu 50 Stundenkilometer schnell rennen. Sie gelten als Wahrzeichen der Alpen, das Bundesamt für Naturschutz hat sie auf die „Vorwarnliste der Roten Liste“ gesetzt. Gejagt werden darf sie hierzulande dennoch. Unter anderem, weil diese Bergtiere in aufgeforsteten Schutzwäldern Grünfutter suchen und junge Baumschösslinge abknabbern. Diese Tatsache treibt Tessy Lödermann aus Garmisch-Partenkirchen um. „Unter dem Deckmantel der Schutzwaldsanierung darf die Gams ganzjährig geschossen werden“, klagt die Tierschützerin. Seit Jahren melde die LWF nach Brüssel: Der Gams gehe es gut. „Wenn man wirklich will, dass es der Gams gut geht, dann muss man ihre Lebensräume überprüfen.“ Ausgesetzt seien sie permanent dem Jagd- und Freizeitdruck sowie der Schonzeitaufhebung. Die Auswertung des Forschungsprojekts solle ihrer Ansicht nach als Beleg herhalten, die Jagd auf die Gams aufrecht zu erhalten und zu forcieren. „Die Studie dient nicht dem Schutz der Gams, sie kann laut der Auswertungen weiterhin beschossen werden.“ Das treffe in zwei Jahren rund 1000 Tiere allein im Raum Garmisch-Partenkirchen. Sie hofft, dass unabhängige Wildbiologen zu Studien herangezogen und mehr im Sinne der Tiere getan wird. „Die Gams braucht Lebensräume und eine Zukunft.“