München – Fast am Ende der Diskussion im Verkehrsausschuss des Landtags ergreift der Grünen-Abgeordnete Martin Runge das Wort. Er war seit jeher gegen den Bau der zweiten S-Bahn-Röhre. Nun hält er den Abgeordneten zwei Fakten entgegen: Die Stammstrecke sollte einst 500 Millionen Euro kosten. Jetzt sind es wohl mindestens 7,2 Milliarden. Und: Sie sollte ursprünglich 2010 fertig sein. Jetzt wird es 2037. Ein „Desaster“ sei das, wettert Runge. Die Einstellung, „wir machen weiter, egal, was es kostet“, hält er für „fatal“.
Vor ihm auf einem erhöhten Pult im Konferenzsaal des Landtags sitzen Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) und Bayerns Bahnchef Klaus-Dieter Josel, die den Abgeordneten erstmals über die Kostenexplosion berichten sollen – aber mächtig unter Druck geraten. Nicht nur durch Runge. Für „dürftig und dünn“ hält der FDP-Abgeordnete Sebastian Körber hinterher Bernreiters Aussagen. Und die SPD-Abgeordnete Natascha Kohnen gibt sich fassungslos: „So geht das nicht, so funktioniert das nicht“, schleudert sie dem Minister entgegen.
Viel Neues kann Bernreiter tatsächlich nicht berichten. Er nennt erneut die 7,2 Milliarden Euro, die eine „baubegleitende“ Projektgruppe in seinem Ministerium ermittelte. Was fehle, seien eigene Zahlen der Deutschen Bahn. „Die Bahn legt sich einfach nicht auf verlässliche Zahlen fest“, klagt Bernreiter. Trotzdem sei „ein Projektabbruch für mich überhaupt keine Option“. Der Freistaat habe schon knapp eine Milliarde investiert. Die Abbruchkosten – das immerhin will Bernreiter von der Bahn erfahren haben – würden mit zwei Milliarden Euro veranschlagt. Bayern finanziere die Stammstrecke jedes Jahr mit bis zu 200 Millionen Euro. Das müsse der Freistaat nun eben noch viel länger tun. Der Grünen-Abgeordnete Markus Büchler hakt nach: Eine Milliarde investiert, zwei Milliarden für den Abbruch – das sei doch unlogisch. Er will Näheres wissen. Eine Aufschlüsselung kann Bernreiter indes stante pede nicht bieten – das werde „nachgeliefert“, verspricht er.
Bahnchef Josel nennt mehrere Faktoren wie die abrupte Preissteigerung im Bausektor oder auch die Erweiterung des ohnehin schon schwierigen Projekts („Pionierarbeit in der Tiefe“) um einen Bahnhof im Rohbauzustand für die U9. Doch präzise Zahlen will er nicht herausrücken. Er vertröstet auf den Oktober. Bernreiter verweist auf ein Spitzengespräch Ende Juli als Ersatz für den Ende Juni geplatzten Termin mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Nebenbei erwähnt er, dass die Zahlen der ministeriumsinternen Monitoringgruppe schon im November 2021 vorlagen. Wie oft die Gruppe tagte und warum er nicht früher Alarm schlug, will SPD-Abgeordneter Florian von Brunn wissen. Er sei ja erst im Februar ins Amt gekommen, antwortet Bernreiter. Ob nicht die damalige Verkehrsministerin Kerstin Schreyer (CSU) damals schon hätte durchgreifen müssen, lässt er offen. „Das stinkt schon ein bisschen zum Himmel“, sagt Inge Aures (SPD).
Im Gegensatz zu den Grünen, die die zweite Stammstrecke für „ein CSU-Projekt“ (Büchler) halten, betont auch die SPD die Bedeutung der Röhre. Sie sei dringend notwendig, sagt Florian von Brunn. Der CSU-Abgeordnete Jürgen Baumgärtner legt nach: „Der ländliche Raum ist für die Stammstrecke“, sie strahle bis nach Schwaben und Niederbayern aus – weil ja einst auch Express-S-Bahnen nach München fahren sollen. Ein Baustopp: undenkbar. „Wir von der CSU ducken uns nicht weg.“