Als Seehofer die CSU-Regierung auspfiff

von Redaktion

50 Jahre Gebietsreform in Bayern – Eine Ausstellung zeigt einen überraschenden Fund

VON DIRK WALTER

München – Der Mann mit dem hellen Mantel hat zwei Finger im Mund, es ist offensichtlich, dass er pfeift. Es ist der 9. November 1971. Vor der Bayerischen Staatskanzlei demonstriert an diesem Tag eine „Arbeitsgemeinschaft“ gegen die geplante Gebietsreform. Drinnen tagt das bayerische Kabinett unter dem Vorsitz von Ministerpräsident Alfons Goppel (CSU). Aus 143 Landkreisen sollen 71 werden. Dagegen ist auch ein junger Diplom-Verwaltungswirt: Horst Seehofer war damals Beamter im Landratsamt Ingolstadt, das bald aufgelöst werden sollte – das behagte ihm offenbar gar nicht. „Mein Arbeitsplatz sollte verschwinden“, erinnerte sich Seehofer in diesem Juni in einem Interview mit der „Augsburger Allgemeinen“.

Seine Karriere hat der Protest offenbar nicht geschadet – und die Gebietsreform ist heute etwas für Historiker. Das Bayerische Hauptstaatsarchiv in der Münchner Schönfeldstraße erinnert nun zusammen mit dem Staatsarchiv Augsburg mit einer kleinen Ausstellung an die Reform, die in ihrer Dimension der Säkularisation Anfang des 19. Jahrhunderts gleichkommt, wie Archivdirektor Gerhard Immler sagte.

So singulär, wie man häufig tut, war die Gebietsreform nicht. Es gab sie in allen deutschen Bundesländern, sagte Ausstellungsmacher Gerhard Fürmetz. Und natürlich gab es auch Vorläufer – in der Weimarer Republik und in der NS-Zeit, als Pasing und andere Vororte nach München eingemeindet wurden. 1949/50 legte der damalige Innenminister Willi Ankermüller Pläne vor. Sie verschwanden aber in der Schublade und wurden mit dem Sperrvermerk „VS“ (Verschlusssache) versehen. Erst in einer Regierungserklärung am 25. Januar 1967 ließ Ministerpräsident Goppel die Katze aus dem Sack.

In mehreren Schritten entstanden in Bayern größere Verwaltungseinheiten — neben der Zahl der Kreise schrumpfte auch die der Gemeinden (von 7073 auf 2052). Ohne Proteste ging das nicht ab – siehe Seehofer. Am bekanntesten aber war der Widerstand in Ermershausen/Unterfranken, der sogar gewalttätig war.

Wahrscheinlich wird der Widerstand in Bayern gegen die Reform aber überschätzt. Ein Volksbegehren gegen die Gebietsreform blieb 1971 mit nur 3,7 Prozent weit unter dem erforderlichen Quorum. Und die CSU fuhr trotz der Reform Rekordergebnisse ein – „das hat ihr nicht geschadet“, stellte Archivar Fürmetz fest. Eine Klage von 211 Gemeinden schmetterte 1978 das Verfassungsgericht ab.

Noch ein CSU-Politiker wurde Opfer der Gebietsreform: Theo Waigels Traum als junger CSU-Funktionär war es, Landrat von Krumbach zu werden, wie er in einem Interview mit dem Augsburger Archivar Rainer Jedlitschka sagte. Aus der Traum – Krumbach wurde dem größeren Landkreis Günzburg einverleibt.

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