Der Regionalzug der Zukunft

von Redaktion

Zwischen Mühldorf und München fährt bald eine außergewöhnliche Bahn – samt Stammtisch

VON WOLFGANG MULKE

München – Verkehrsminister Christian Bernreiter staunt bei der Premiere des neuen Doppelstockwagen der Südostbayernbahn. „Der Stammtisch ist eine tolle Geschichte“, sagt der Niederbayer, die Arbeitsplätze würden ihm besonders gut gefallen. Tatsächlich stecken in dem Waggon, der in diesen Tagen erstmals auf der Bahn-Fachmesse Innotrans in Berlin vorgeführt wurde, jede Menge Neuerungen, die bald auch Fahrgästen zwischen München und Mühldorf die Fahrt komfortabler gestalten. Im Waggon sorgt das 5G-Netz für schnelle Internetverbindungen. Aus Ohrensesseln heraus können Passagiere den Blick in die Landschaft genießen und zugleich über einen der 100 USB-Anschlüsse ihre Smartphones oder Tablets aufladen.

„Wir wollen die Zeit des Pendelns wertvoll machen“, sagt Evelyn Palla, die bei der Deutschen Bahn als Vorständin für den Regionalverkehr verantwortlich ist. Sie spricht von einem revolutionärem Inneren der Regionalbahn. Fahrgäste zwischen München und Mühldorf können das bald selbst überprüfen. Ab dem kommenden März wird der Doppelstockwagen auf dieser Linie eingesetzt, erstmals in Deutschland.

„Ideenzug“ nennt die Bahn das in den vergangenen Jahren entwickelte Konzept. Die Tüftler des Unternehmens haben viele einzelne Module entwickelt, die eine Fahrt bequemer machen können. Einige davon wurden nun für den ersten Test im normalen Verkehr zusammengestellt. Es beginnt schon beim Einsteigen. Auf großen Monitoren werden die Fahrgäste mit den wichtigsten Informationen zur Fahrt versorgt, etwa auch darüber, wo im Waggon noch freie Sitzplätze zu finden sind.

Familienabteile bieten außerdem reichlich Platz für Eltern und Kinder sowie den Kinderwagen. Wer allein unterwegs ist und seine Fahrtgenießen will, kann in einem der beiden Ohrensessel Platz nehmen und den freien Blick auf die Landschaft draußen genießen. Gruppen oder Leute, die gerne gemeinsam zum Arbeitsplatz pendeln, können sich um einen länglichen Tisch scharen, den Stammtisch.

Ein besonderer Knüller sind vier Arbeitskabinen. Dort können Fahrgäste am Laptop sitzen, ungestört telefonieren und ihre Aufgaben erledigen. Denn per Schiebetür lässt sich die Kabine schließen. Neu ist auch die Eckbank mit kleinen Tischen, die Gruppen die gemeinsame Fahrt verschönert. Schließlich gibt es Abstellflächen, etwa für Fahrräder oder den Kinderwagen. Dass die Sitze überall sehr viel bequemer und ergonomisch geformt sind, ist ebenfalls Teil des Konzepts.

Nun sollen die Fahrgäste entscheiden, welche der Neuerungen für sie besonders hilfreich sind. Ein Jahr lang testet die Südostbayernbahn den Waggon. Danach wird entschieden, ob weitere Doppelstockwagen umgerüstet und mit welchen besonders gut angenommenen Neuerungen sie ausgestattet werden. Mit dem Ideenzug will die Deutsche Bahn, zu der die Südostbayernbahn gehört, den Regionalverkehr neuen Zielgruppen schmackhaft machen. Das Unternehmen experimentiert in München und Hamburg auch in den S-Bahnen mit neuen komfortablen Modulen. Ein Vorteil des Konzepts sind die vergleichsweise günstigen Kosten. Auch alte Doppelstockwagen im Regionalverkehr können umgerüstet werden. Danach sehen sie aus wie neu, selbst wenn sie bereits Jahrzehnte auf dem Buckel haben.

„Ich bin begeistert“, sagt Bayerns Verkehrsminister nach seiner Besichtigungstour. Doch ob der Freistaat auch genügend Geld hat, bald für mehr Zug-Komfort zu sorgen, ist derzeit offen. Die stark gestiegenen Energiekosten sowie Einnahmeausfälle während der Pandemie haben die Verkehrsunternehmen unter Druck gesetzt. „Wir wollen klimaneutral werden“, sagt Bernreiter zwar, doch ohne zusätzliche Mittel könne schon das bestehende Angebot kaum aufrecht erhalten werden. 511 Millionen Euro hat der Minister daher beim Finanzminister beantragt. Das Ergebnis ist offen.

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