Bayerns ältester Metzger-Lehrling

von Redaktion

VON GERTI REICHL

Rottach-Egern – Es ist fast Mittag und riecht nach Geräuchertem. Auf einer Stellage werden frische Weißwürste hereingefahren. Heinz Waldenmaier streift sich die Hände an seiner weißen Gummischürze ab und rückt die weiße Kappe zurecht. Die Ärmel an seinem weiß-blau gestreiften Hemd hat er längst hochgekrempelt. Er steckt in weißen Gummistiefeln. „Ich hab gerade den Boden geschrubbt und geputzt“, sagt Waldenmaier und ist ein wenig stolz darauf. Klar, selbst das gehört zur Arbeit eines Lehrlings, auch wenn Waldenmaier ein außergewöhnlicher Azubi ist. Mit seinen 67 Jahren will er jetzt Metzger werden.

Dabei hat er zeitlebens andere Berufe ausgeübt, war nach Abschluss seiner Ausbildung in der Justizverwaltung dann als Beamter auf Lebenszeit 30 Jahre lang beim Bundesgrenzschutz tätig. Zudem betreibt er seit 1978 mit seiner Frau in Rottach-Egern das Gästehaus „Anzengruber“ sowie in Tegernsee-Süd das Garni-Hotel „Ludwig-Thoma“ – mit Ferienwohnungen und insgesamt 70 Betten.

Waldenmaier ist keiner, der sich zurücklehnt. Er war neun Jahre lang Geschäftsführer im Verkehrsverein Rottach-Egern, auch im Wirtschaftsbeirat Bayern ist er Mitglied. Weil ihn die Themen Tierwohl und Biofleisch seit Langem beschäftigen, wollte er es genauer wissen und erfahren, wie es tatsächlich in einem Schlachthof zugeht. „In Deutschland kennt man ja nur die lila Kuh und das Steak, was dazwischen in der Produktionskette passiert, will fast niemand wissen.“ Waldenmaier schon.

Er bewarb sich im Schlachthof Kulmbach und absolvierte erfolgreich den Lehrgang „Schlachten“, um danach auch vom Landratsamt Miesbach den entsprechenden Sachkundenachweis zu erhalten. Weitere Praktika folgten – unter anderem bei Mirko Göttfert in dessen Steakschmiede in Kreuth, wo er auch künftig seine Kenntnisse erweitern durfte. Und selbst einen Einblick in islamische Schlachthöfe in Dubai, wo Interessierte jeden Alters hinter Glasscheiben die Prozesse mitverfolgen können, ließ er nicht aus.

Waldenmaier will dazu beitragen, dass der anspruchsvollen Arbeit des Metzgers mehr Wertschätzung entgegengebracht wird. „Wenn bei einem möglichen nächsten Fleischskandal wieder der Ruf laut wird, man solle beim Metzger seines Vertrauens einkaufen, dann könnte es sein, dass es diesen bald nicht mehr gibt.“

Waldenmaier ging noch einen Schritt weiter und beschloss, eine Lehre zu machen. Seit Anfang September steht er nun täglich in der EU-zertifizierten Metzgerei von Stephan Hagn in Rottach-Egern. Der 59-jährige Metzgermeister, der die Metzgerei seines Vaters in Kalkofen 2015 wieder zum Leben erweckt hat, war bisher allein hier tätig – wohl auch mangels geeigneter Lehrlinge.

Hagn gehört zu den wenigen Metzgern am Tegernsee, die noch selbst schlachten. „Vor 50 Jahren hat es allein in Rottach etwa zehn Metzgereien mit eigener Schlachtung gegeben“, weiß Waldenmaier. Bei dem einzig verbleibenden, nämlich Stephan Hagn, geht er jetzt in die Lehre.

Es geht um Regionalität und darum, dass die Tiere auf kurzem Weg so schonend und schnell wie möglich und nach Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen geschlachtet und verarbeitet werden. Was bei Hagn der Fall ist. „Hier werden die Tiere von den Landwirten aus der Umgebung angeliefert“, sagt er und deutet auf eine Türe im Schlachtraum. 50 Wurstsorten werden hier hergestellt, auch Gerichte wie Rouladen, Schaschlik oder gefüllte Braten mit Soße, die daheim nur mehr aufgetaut und erwärmt werden müssen. Dazu gibt es Fleischstücke und Wurstwaren, die Hagn an muslimische Märkte verkauft — dort ohne Schwein. Auch wenn es keinen Laden gibt: Auf Bestellung und an der Tür kann jeder hier einkaufen – montags bis samstags von 7 bis 13 Uhr.

„Wenn ich 30 Jahre jünger wäre, würde ich eine offene, transparente, gläserne Metzgerei im Tegernseer Tal etablieren, eventuell als Genossenschaft, so wie die Naturkäserei“, sagt Waldenmaier. Denn Transparenz ist das, was ihn bewegt, ebenso wie das Tierwohl und die verschiedenen Prozesse, die nach Ankunft der Tiere am Schlachthof ablaufen.

Immer donnerstags muss Heinz Waldenmaier nach Rosenheim in die Berufsschule. Mit 15- bis 17-jährigen Burschen und Mädchen drückt er dort die Schulbank. „Wir sind nur zehn Lehrlinge in der Klasse, dazu vier Auszubildende im Verkauf“, berichtet Waldenmaier. Dann hat er noch eine Anekdote auf Lager: „Die Anmeldung war nur online möglich und bis zum Jahrgang 1962. Weil das Programm so alte Lehrlinge nicht vorsieht, bin ich eben als Jahrgang 1962 gemeldet.“ Die Verkürzung der Lehrzeit von drei auf zwei Jahre sei bereits genehmigt. Am Verhandeln ist er, ob er zu Fächern wie Deutsch, Religion, Wirtschaft und Soziales kommen muss, „da ich während meiner Polizeidienstzeit diese Fächer selbst unterrichten durfte“. Außer an Schultagen steht er werktags ab frühmorgens bei Stephan Hagn auf der Matte. „Kuttern, also Brät machen, kann ich schon“, sagt Waldenmaier, „ebenso Därme füllen. Jetzt bin ich dabei, das Auslösen von Fleischteilen zu lernen.“

Sein Chef ist hochzufrieden mit seinem Lehrling, weiß er doch genau, dass Heinz Waldenmaier vieles einfach schneller lernt. „In einem halben Jahr hat er den Bogen raus.“ Das Bodenschrubben bleibt ihm – selbst als Geselle mit dann 69.

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