München – Die Nase läuft, der Hals kratzt, der Kopf schmerzt, manchmal kommt auch noch quälender Husten dazu. Obwohl sich der goldenen Oktober mit sommerlichen Temperaturen von seiner besten Seite zeigt, geben sich in den Praxen der oberbayerischen Hausärzte die Patienten wieder einmal die Türklinke in die Hand. Corona ist nach wie vor präsent, dazu kommen Erkältungskrankheiten – und auch die Grippesaison ist angelaufen. „Ich hatte allein in den vergangenen Tagen 60 Personen, die ich wegen ihrer Infekte behandeln musste“, sagt Dr. Bernhard Popp, der in Garmisch-Partenkirchen praktiziert. „Mein Wartezimmer ist voll.“
Einen ähnlichen Ansturm erlebt Professor Dr. Jörg Schelling. Auch dem ehemaligen Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der LMU, der in einer Gemeinschaftspraxis in Martinsried (Landkreis München) arbeitet, rennen die Patienten das Sprechzimmer ein. „Ich teile die Erfahrungen des Kollegen uneingeschränkt.“ Die Belastungen für die Mediziner und das Personal, die nach den diversen Corona-Wellen zuletzt etwas durchschnaufen konnten, ist enorm gestiegen. Neben Corona- und Grippeimpfungen sowie der großen Zahl an Erkältungskrankheiten müssen auch die Patienten, die an anderen Dingen leiden, behandelt werden. „Wir werden auch das schaffen“, sagt Schelling.
Noch machen die Grippekranken nur einen kleinen Bruchteil der Patienten aus. Bald könnte die Influenza, die sich nur durch einen Labortest eindeutig bestimmen lässt, allerdings wieder eine größere Rolle spielen. Wie schwer die Welle ausfallen wird, gleicht (noch) einem Blick in die Glaskugel. „Wir haben aber gesehen, dass es in Australien, wo die Grippe üblicherweise in unseren Sommermonaten vorherrscht, relativ viele Erkrankungen gegeben hat“, sagt Schelling. Ähnliches könne auf Deutschland zukommen.
Wie viele Menschen in einer Saison an der Grippe erkranken oder im schlimmsten Fall sogar sterben, hängt zum großen Teil davon ab, wie viele durch Impfungen oder vorangegangene Infektionen geschützt sind. In dieser Hinsicht könnten die Viren, nachdem die Grippe in den vergangenen zwei Jahren wegen der Corona-Vorsichtsmaßnahmen relativ mild ausgefallen ist, einen Vorteil haben. Auch das Robert-Koch-Institut (RKI) vertritt die Ansicht, dass die Bevölkerung in erhöhtem Maß anfällig sei.
Deshalb plädieren Popp und Schelling für die Schutzimpfung – für alle Altersgruppen. „Sie hilft gegen schwere Verläufe“, sagt Popp. Zwar empfiehlt die Ständige Impfkommission sie für alle Personen über 60 Jahren, ab 50 für solche mit Vorerkrankungen wie zum Beispiel Asthma, und für Menschen in Pflegeberufen und mit vielen sozialen Kontakten. Doch raten beide Ärzte allen Altersgruppen, sich impfen zu lassen. Auch für Kinder, bei denen die Grippewelle schon angekommen ist und schwere Fälle verursacht hat, halten sie es „für äußerst sinnvoll“. Als Vorbild nennt Schelling England. Dort können sämtliche Kinder ab zwei Jahren einen Lebendimpfstoff erhalten, der als Nasenspray verabreicht wird, Babys mit Vorerkrankungen sogar schon ab sechs Monaten. Der Allgemeinmediziner will seine drei Kinder im Alter von sieben, zehn und zwölf Jahren demnächst immunisieren. „Ich halte das für sehr sinnvoll.“
Vor Infektionen schützen können auch jene Maßnahmen, die bei Corona das Risiko gesenkt haben, sich anzustecken. „Ich rate zu Maske tragen, Abstand zu halten und häufigem Händewaschen“, sagt Popp. Wen grippeähnliche Symptome plagen, der sollte lieber zu Hause bleiben und Besuche bei der Familie und Treffen mit Freunden verschieben.
Den besten Schutz, nicht schwer an Grippe zu erkranken, stellt immer noch die Impfung dar. „Nach Voranmeldung einen Termin in einer Praxis zu bekommen ist nicht schwierig, spontan eher schon“, meint Popp. Auch die Versorgung mit dem Vakzin ist gesichert. Bayern, so heißt es aus dem CSU-geführten Gesundheitsministerium, ist gut vorbereitet. Man habe für die Saison 100 000 Hochdosis-Influenzaimpfstoffe als Reserve besorgt. Die Welle erreicht meist um die Weihnachtszeit oder in den Anfangsmonaten des neuen Jahres ihren Höhepunkt.