„Sie sind ein Glück für unser Land“

von Redaktion

VON PETER T. SCHMIDT

München – Es war ein Festakt mit Symbolkaft, fand er doch in der Synagoge Ohel Jakob statt. Dass das „Zelt Jakobs“, so die deutsche Übersetzung, 2006 auf dem Sankt-Jakobs-Platz im Herzen der Stadt entstehen konnte, ist maßgeblich dem Engagement Knoblochs zu verdanken, die in OB Christian Ude und seinem Nachfolger Dieter Reiter Mitstreiter fand. Heute zeigen die Synagoge und das benachbarte jüdische Gemeindezentrum unmissverständlich: Jüdisches Leben hat seinen Platz in der Mitte der Stadtgesellschaft gefunden. Doch ebenso deutlich ließ die enorme Polizeipräsenz rund um den Sankt-Jakobs-Platz erkennen: In der Normalität sind die Juden in München und Deutschland noch lange nicht angekommen. Noch immer – und wieder in steigendem Maße, wie Steinmeier betonte –, sind Juden Anfeindungen bis hin zum offenen Hass ausgesetzt, erlebt die Demokratie Angriffe durch radikale Kräfte, zeigt sich Antisemitismus wieder unverhohlen auf der Straße und vor allem im Netz. Vor diesem Hintergrund betrachte er es als „Versprechen“, dass Knobloch einmal gesagt habe, sie wolle nicht schweigen, solange sie fähig sei zu sprechen, so Steinmeier.

Dises Versprechen hatte Knobloch in einer Pressekonferenz vor dem Festakt erneuert: „Ich lasse da nicht nach“, hatte sie gesagt und der Jugend zugerufen: Lasst euch von niemandem sagen, wen ihr zu lieben und wen ihr zu hassen habt.“ Und mit Blick auf die Bilder vom zerstörten Deutschland im Jahr 1945, die sich tief in ihre Erinnerung eingebrannt haben, fügte sie an: Seid stolz darauf, was aus diesem Land geworden ist, aber vergesst niemals, was Menschen Menschen antun.“

München, Bayern, Deutschland, das sei ihre Heimat, bekannte Knobloch nun in der Synagoge, auf deren Bankreihen sich prominente Ehrengäste drängten: Vertreter von Politik und Justiz erwiesen der Jubilarin ebenso die Ehre wie die FC-Bayern-Größen Uli Hoeneß und Oliver Kahn, die Bischöfe Reinhard Marx und Heinrich Bedford-Strohm, Herzog Franz von Bayern und weitere hochrangige Vertreter aus allen Bereichen gesellschaftlichen Lebens.

Heimat, das sei aus Knoblochs Mund „ein großes Bekenntnis“ sagte Frank-Walter Steinmeier und bescheinigte der Jubilarin: „Sie sind ein Glück für unser Land“.

Als „tolle Frau“ und „unser aller Herzensmensch“ rühmte Ministerpräsident Markus Söder die 90-Jährige. „Ihre Tapferkeit macht anderen so unglaublich viel Mut.“ Und dann gab er als Ministerpräsident des Freistaats Bayern ein „Schutzversprechen“ ab: „Jeder, der sich mit jüdischem Leben anlegt, muss wissen, dass er sich mit uns allen anlegt. Wir sind eine wehrhafte Demokratie!“

„Wir werden niemals von Ihrer Seite weichen“, versicherte auch Oberbürgermeister Dieter Reiter. „Es darf und wird kein München ohne seine jüdische Gemeinde mehr geben“.

„Wer baut, hat seine Heimat gefunden“, habe Charlotte Knobloch einmal gesagt, berichtete der amtierende Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. Doch der Rückkehr der Juden nach Deutschland sei ein „innerer Kampf der Wiederannäherung“ vorausgegangen, für den niemand so exemplarisch mit seinem Leben stehe wie Knobloch. Sie hatte ihrer Heimatstadt nicht den Rücken gekehrt, sondern die Hand zur Versöhnung ausgestreckt. Es gelte, so fasste es Rabbiner Shmuel Aharon Brodman zusammen, nicht weniger zu feiern als „ein Leben, das sinnbildlich steht für die Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“.

Nach minutenlangem Applaus trat Charlotte Knobloch sichtlich gerührt ans Mikrofon. „Geben Sie mir eine Sekunde, um diesen Moment zu speichern“, bat sie. Zwar stehe sie nicht gern im Mittelpunkt, doch diese Geburtstagsfeier sei ihr „eine Ehre und eine unbandige Freude“. Anne-Sophie Mutter, die den Festakt zusammen mit Stipendiaten ihrer Stiftung und Mitgliedern des Jewish Chamber Orchestra Munich musikalisch umrahmte, habe ihr „in der schönsten Sprache der Welt die größte denkbare Freude bereitet“ fuhr Knobloch fort. Moderatorin Maria Furtwängler dankte sie für ihre treffenden Worte.

Sie habe drei Welten erlebt, erzählte die 90-Jährige. Die, in die sie geboren wurde, sei unwiederbringlich zerstört. Die, für die sie sich „gegen jeden Rat“ entschieden habe, sei anfangs klein gewesen, doch aus ihr habe sie Kraft geschöpft. Nun lebe sie in einer Welt, „die ich mit aufbauen durfte und die wir gemeinsam weiterbauen, um sie unseren Kindern, Enkeln und Urenkeln zu übergeben“.

Diese dritte Welt sei eine gute Welt, rief Knobloch ihren Mitstreitern in der Synagoge zu. Die zahllosen Menschen, die sie unterstützt hätten, „haben meinen Glauben an die Menschheit gerettet“. Doch die Welt sei auch „furchtbar verletzlich“. „Lassen wir nicht zu, dass es Rückschritte gibt.“ „Wir sind nur wir, wenn wir einander als Menschen begegnen, mit derselben unanastbaren Würde.“

Nicht Probleme, sondern Menschen zu sehen, auf die man zugehen kann und muss, gleichzeitig aber die Demokratie entschlossen gegen Hass und Hetze, Angriffe und Zersetzung zu verteidigen: Das hat Charlotte Knobloch in neun Jahrzehnten ausgezeichnet. Und in einem Wunsch stimmen alle Gäste überein: Es möge noch lange so bleiben.

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