Hugo Graf Lerchenfeld-Köfering und Eugen Ritter von Knilling haben es nicht in die Ruhmestempel bayerischer Geschichte gebracht. Vor 100 Jahren freilich bestimmten sie die Politik in Bayern – denn der eine, Lerchenfeld, quittierte am 2. November 1922 sein Amt – zugunsten seines Nachfolgers Knilling, der sechs Tage später, am 8. November 1922, als bayerischer Ministerpräsident vereidigt wurde.
In Bayern regierten damals drei konservative Parteien: Die konservativ-katholische Bayerische Volkspartei (BVP) hatte mit der deutschnationalen Bayerischen Mittelpartei und dem bayerischen Bauernbund eine Koalition geschlossen. Sie stützten die sogenannten bayerischen Beamtenkabinette – Minister, die fachlich gut, politisch-taktisch unerfahren und der Lage nicht gewachsen waren. Sechs der acht Ministerien wurden von hohen Beamten geführt, die schon im bayerischen Königreich hohe Ämter innegehabt hatten. Nicht ohne Grund monierte die „Münchener Zeitung“, dass die BVP, damals die führende politische Kraft, „nicht dazu zu bewegen ist, einmal einen ihrer wirklich maßgebenden Führer an die Spitze zu stellen“.
Eine der wichtigsten Aufgaben wäre die energische Bekämpfung der erstarkenden Hitler-Bewegung gewesen. Der Aufstieg der Nationalsozialisten war schon 1922 großes Thema. Dazu finden sich auch in der „Münchener Zeitung“ in jenen Tagen Beispiele. Am 4. November 1922 beispielsweise berichtet die Zeitung über „eine äußerst scharfe und drohende“ Rede des Nationalsozialisten Hermann Esser, der gegen ein Münchner Schuhgeschäft mit jüdischen Besitzern wegen angeblichen Wuchers hetzte.
In der Ausgabe vom 8. November findet sich eine Anzeige des Reichsbunds Jüdischer Frontsoldaten, in der es heißt: „Die antisemitische Hetze hat ihren Höhepunkt erreicht.“ In Volksversammlungen würden „dem gutgläubigen Publikum“ fast täglich „die schlimmsten Schauergeschichten über die Verbrechen der Juden“ aufgetischt. Niemand schritt ein. Schon im Frühjahr 1922 hatte die bayerische Regierung – unter Knillings Vorgänger Lerchenfeld – die Chance versäumt, Hitler, der eine kurze Gefängnisstrafe absitzen musste, nach seiner Freilassung als österreichischen Staatsangehörigen auszuweisen.
Knilling war erst 1920 in die BVP eingetreten, er war ein „Außenseiter“, wie der zeitgenössische Beobachter Karl-Alexander von Müller urteilte. Er hielt sich ein Jahr im Amt und wurde während des Hitlerputsches im November 1923 von den Nationalsozialisten kurzzeitig als Geisel genommen. Im Mai 1924 trat er nach einer Wahlniederlage der BVP zurück. DIRK WALTER