Langweid am Lech – Viel Grün, idyllische Straßen, gesäumt von Einfamilien- und Reihenhäusern. Langweid ist ein beschaulicher Ort mit 8900 Einwohnern, 20 Autominuten nördlich von Augsburg. „Lebendig und vielfältig“ heißt es auf der Homepage der Gemeinde – doch der Frieden trügt.
Am Freitagabend gegen 19.15 Uhr feuerte ein 64-jähriger Sportschütze seine Waffe im Flur eines Mehrfamilienhauses in der Schubertstraße ab. Eine 49-Jährige und ihr 52-jähriger Mann starben. Danach soll er eine 72-Jährige im selben Haus getötet haben – mit einem Schuss durch die Wohnungstür. Der Sportschütze fuhr rund 450 Meter weiter in die Hochvogelstraße und soll dort ein weiteres Paar (32 und 44) schwer verletzt haben, ebenfalls mit einem Schuss durch die Wohnungstür.
Anschließend floh der Verdächtige im Auto, zwei Kurzwaffen im Gepäck. Gegen 19.20 Uhr ging bei der Polizei der Notruf ein, nach einer umfangreichen Fahndung nahmen Beamte den 64-Jährigen gegen 19.45 Uhr im Ortsteil Foret fest, er leistete keinen Widerstand.
Das mögliche Motiv: ein Streit unter Nachbarn. Zu dem Mehrfamilienhaus, in dem die drei Menschen getötet wurden, war die Polizei erst am Freitagnachmittag gerufen worden – wenige Stunden vor der Tat. „Als die Polizeistreife kurze Zeit später vor Ort war, hatte sich der 64-Jährige bereits entfernt“, teilten die Beamten mit.
Ende 2018 sei die Polizei erstmals über Nachbarschaftsstreitigkeiten in der Schubertstraße informiert worden. „Seitdem wurden nur einzelne Vorkommnisse in dem Mehrparteienhaus bekannt. Dabei kam es zu Ermittlungen wegen unterschiedlicher Vorfälle, wie beispielsweise Gerangel, beleidigenden Äußerungen sowie Drohgebärden.“ Darüber hinaus sei der 64-Jährige nicht polizeilich in Erscheinung getreten. Er sitzt nun in Untersuchungshaft – ermittelt wird wegen Mordes.
Die Langweider zeigen sich am Tag nach den tödlichen Schüssen fassungslos. „Mir ist ganz schwindlig vor Augen“, sagt Maria James, eine Freundin der 72-jährigen Toten. Sie kannte auch das jüngere Opfer: „Immer wenn ich sie getroffen habe, habe ich gefragt, wie es ihr geht.“ Die ganze Nachbarschaft wusste von den Auseinandersetzungen in dem Mehrparteienhaus: „Die haben nur gestritten.“
Von dem Verbrechen ist jetzt nichts mehr zu sehen: kein Flatterband, keine Einsatzwagen, nur wenige Menschen sind auf der Straße unterwegs. Eine Anwohnerin berichtet, wie sie in der Nacht vom Lärm der Hubschrauber geweckt wurde und die Spurensicherung im Garten beobachtete. Sie wirkt entsetzt, dass so etwas hier passieren konnte.
„Ich war gerade beim Bäcker, überall wird spekuliert. Jeder redet davon, es geht um nichts anderes“, bestätigt auch Anwohner Thomas Eder. „Heute früh habe ich es im Internet gelesen, es war ja überall die Hauptnachricht. Und dann erfährt man, es war der eigene Ort.“ Beim Lesen habe er Gänsehaut bekommen.
„Das ist ein ganz unauffälliger, ruhiger Vorort – und auch ein sicherer Ort“, sagt Polizeisprecher Markus Trieb. Die Freiwillige Feuerwehr hatte für Samstag eigentlich zu einer Party geladen, nun ist niemandem nach Feiern zumute. „Aufgrund der gestrigen Vorfälle in Langweid haben wir die Entscheidung getroffen, unsere heutige Brandlöschparty abzusagen“, heißt es auf der Homepage.
Stattdessen waren Polizeikräfte bis in den frühen Morgen im Einsatz: Die Kriminalpolizei sicherte die Spuren. das Bayerische Landeskriminalamt wurde mit Waffen-Spezialisten eingebunden. Das Kriseninterventionsteam betreute Zeugen, Anwohner und weitere Beteiligte.
Der Verdächtige war nach Angaben der Polizei Sportschütze. Er besaß verschiedene Waffen und eine entsprechende waffenrechtliche Erlaubnis. In seiner Wohnung wurden noch am Freitagabend mehrere Schusswaffen von den Einsatzkräften sichergestellt.
Die Initiative „Keine Mordwaffen als Sportwaffen“ forderte mit Blick auf die Gewalttat erneut ein Verbot tödlicher Sportwaffen. „Das Risiko tödlicher Sportwaffen ist nicht beherrschbar“, teilte der Sprecher der Initiative, Roman Grafe, mit. Das deutsche Waffenrecht sei zu lasch. Waffen wie bei den Attentaten in Erfurt (2002), Winnenden (2009), Hanau (2020) und Hamburg (2023) seien grundsätzlich für jeden Sportschützen problemlos zu erwerben.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) wies die Forderung zurück: „Eine weitere Verschärfung des Waffenrechts steht momentan nicht zur Debatte“, erklärte er. Deutschland habe bereits eines der schärften Waffengesetze im Europa. Zunächst gelte es, die Hintergründe der Tat aufzuklären und „zu ermitteln, wieso der Täter derart ausgerastet ist“.
Die Opfer aus der Hochvogelstraße kamen ins Krankenhaus, schwebten aber nach Angaben der Polizei nicht in Lebensgefahr. Die jüngeren Opfer aus der Schubertstraße waren Eltern eines minderjährigen Kindes. Der Junge befinde sich derzeit bei Familienangehörigen und werde professionell betreut, teilte die Polizei mit. dpa/tsr