München – Das Wetter hätte besser nicht sein können. Die Sonne scheint vom weiß-blauen Himmel. „Das habe ich so bestellt“, sagt Werner Himmel und lacht. Schließlich hätte er dank seines Nachnamens einen besonderen Draht nach oben.
Der 72-Jährige ist aus Baden-Württemberg angereist, für die Wiesn, vor allem aber für den Trachtenumzug. „Ich freue mich besonders auf die Musikkapellen“, sagt der Musiker, der Klarinette spielt und gerne beim Zug mitmachen würde. „Vielleicht klappt es ja im nächsten Jahr“, sagt er. Dann muss er los, schließlich will er den Beginn des Umzugs nicht verpassen.
Angeführt wird der Trachten- und Schützenumzug, der 1835 das erste Mal stattfand, traditionell und hoch zu Ross vom Münchner Kindl, in diesem Jahr erstmals verkörpert von Wirtstochter Franziska Inselkammer. Ihr folgen rund 9500 Teilnehmer – meist zu Fuß. Nur einige dürfen in Wagen oder Kutschen Platz nehmen, so etwa Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Münchens OB Dieter Reiter. Im inoffiziellen Kutschen-Ranking ist es aber das goldene Prachtgefährt von und mit Märchenkönig Ludwig II., das bei den Zuschauern die größte Begeisterung auslöst. Die originalgetreue Replik der goldenen Kutsche, die die Bavaria Filmstudios für einen Film herstellen ließen, wurde im Herbst 2022 privat erworben und ist nur heuer auf dem Umzug zu sehen. Sie wird im Anschluss ins Schloss Herrenchiemsee überführt.
Besonders ist in diesem Jahr auch die einmalig große Delegation, mit der der Bayerische Trachtenverband vertreten ist. Anlässlich des Jubiläums „140 Jahre Trachtenbewegung in Bayern“ präsentieren rund 1400 Trachtler aus den 22 Gauverbänden die regionale Vielfalt bayerischer Tradition.
Den Tausenden von Zuschauern, die die Straßen säumen, gefällt’s. Es wird gewunken und geklatscht, gejubelt und gejuchzt. Das 65. Mal sei sie beim Trachtenumzug dabei, erzählt die Münchnerin Christina Lerach, die bestens gelaunt am Odeonsplatz steht. „Ich bin schon als kleines Mädchen mit meiner Mutter immer hierhergekommen.“ Was sie am Umzug so fasziniert? „Die Trachten und die Tradition“, sagt sie. „Das ist einfach unser Brauchtum. Das ist Bayern.“
In bunter Folge wechseln sich festlich gekleidete Trachtler mit Musikkapellen, historischen Trachtengruppen, Gebirgsschützen, Spielmanns- und Fanfarenzügen ab. Auch der Bayerische Jagdverband ist mit Greifvögeln und Jagdhunden dabei, daneben Ritter mit ihren edlen Damen (Kaiser Maximilian Ritter aus Füssen), Handwerker und ihre Zünfte, und auch die feine Münchner Gesellschaft (Alt-Monachia – gesellige Bürgerzunft) bleibt diesem Ereignis selbstverständlich nicht fern und zeigt sich im wohlgefälligen Biedermeier-Gewand.
Längst ist es Tradition, dass auch etliche Gruppen von außerhalb bei diesem Trachtentreffen der besonderen Art dabei sind. Einen sehr weiten Weg hat in diesem Jahr beispielsweise die Utersumer Trachtengruppe auf sich genommen, die im Zug die historische Festtagstracht der Insel Föhr präsentiert. Das erste Mal dabei ist der Uracher Schäferlauf aus Bad Urach in Baden-Württemberg. Der Schäferlauf findet seit 1723 alle zwei Jahre zu Ehren der Schäferzunft statt, mit Schäfermusik und Schäferreigen. Das historische Fest wurde in die Bundesliste des Immateriellen Kulturerbes der Unesco aufgenommen.
Und so, wie die Schäfer tanzen, so ist der gesamte Zug ein prächtiger Reigen, in den sich auch Gastgruppen aus Österreich, der Schweiz, Kroatien und Italien mischen und in dem auch die Bräurosl nicht fehlen darf, die einst in die Zelte ihres Vaters geritten sein soll, um dort jodelnd für Stimmung zu sorgen. Jodeln musste sie heuer nicht. Die Stimmung im und am Zug war bereits bestens.