Am Tag nach dem Anruf aus Stockholm kann Ferenc Krausz (61) noch immer kaum glauben, dass er den Physik-Nobelpreis gewonnen hat. Der Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching verrät, wie ihn die Nachricht erreicht hat – und wie seine Attosekunden-Physik unser Leben verändern könnten.
Bei aller Bescheidenheit: Stellt man sich als Wissenschaftler manchmal vor, dass irgendwann ein Anruf aus Stockholm kommt?
Vermutlich schon. Aber man weiß auch, wie gering die Wahrscheinlichkeit dafür ist.
Wie hat Sie die Nachricht erreicht?
Ich war zu Hause – und habe wirklich gar nicht damit gerechnet. Ich saß noch im Pyjama allein am Frühstückstisch und habe eine Präsentation vorbereitet, die ich nachmittags halten sollte. Es hat eine Weile gedauert, bis die Nachricht wirklich bei mir angekommen ist. Ich könnte nicht mehr sagen, was der Herr am Telefon mir die nächsten Minuten erklärt hat. Es gibt immer noch Momente, in denen ich es kaum glauben kann.
Sie haben mit der Vorarbeit für die AttosekundenPhysik in den 90er-Jahren begonnen. Wie haben Sie zu dem Thema gefunden?
Durch Neugierde und Faszination für das Unbekannte. Es hätte auch ein anderes Thema werden können. Im Labor der Technischen Universität Budapest gab es einen Ultrakurzlaser, der Picosekunden gemessen hat – Billionstel einer Sekunde. Attosekunden sind noch mal 100 000-fach kürzer.
Was ist schwieriger: das Erforschen von Attosekunden – oder sie zu erklären?
Auf jeden Fall das Erklären.
Würden Sie trotzdem einen Versuch wagen?
Gerne. Wir versuchen die schnellsten Vorgänge außerhalb des Atomkerns in Echtzeit zu beobachten. Dazu brauchen wir bildlich gesprochen eine Kamera mit einer Belichtungszeit in Attosekunden. Eine herkömmliche Kamera mit so kurzer Belichtungszeit gibt es aber nicht, da sind wir irgendwo im Bereich von Millionstel-Sekunden. Wir haben Lasertechniken entwickelt, mit denen es möglich geworden ist, Lichtblitze mit einer Dauer von mehreren hundert Attosekunden zu zeigen und zu messen.
Welche Gebiete können davon profitieren?
Ein Beispiel wäre die Elektronik. Wie schnell wir Strom in unseren Geräten ein- und ausschalten können, bedingt, wie schnell man Rechenoperationen durchführen kann. Wir haben mit der Attosekunden-Physik gezeigt, dass sich elektrischer Strom 100 000-fach schneller schalten lässt. Aber es ist noch ein weiter Weg, das zu realisieren.
Wie könnte die Medizin profitieren?
Das ist ein bisschen komplexer: Wir regen eine Blutprobe mit einem kurzen Infrarot-Laserimpuls an, dadurch geraten die Moleküle in Schwingung, sie senden dann ihrerseits Infrarotlicht aus. Die Frequenzen dieses Signals geben detailreiche Auskünfte über die molekulare Zusammensetzung des Bluts. Sie verändert sich durch eine Krankheit – und damit auch das Infrarot-Signal. Wir können die Attosekunden-Physik also zur Früherkennung von Krankheiten nutzen. Es gab bereits größere Studien, in denen Krebsarten durch die Infrarotsignale nachgewiesen wurden.
Eine Attosekunde ist so kurz, dass es innerhalb einer Sekunde so viele davon gibt, wie es Sekunden seit der Entstehung des Universums gab. Kommen bei solchen Größenordnungen auch Physiker an die Grenzen ihrer Vorstellungskraft?
Ja, jeder Mensch, glaube ich. Der Vergleich ist zwar interessant. Aber wir haben eigentlich nicht mal ein Gefühl für die Dauer der Existenz des Universums. Vorstellen können wir uns nur, was mit unseren Sinnesorganen wahrnehmbar ist.
Reizen Sie diese schwer vorstellbaren Sphären an Ihrem Forschungsfeld?
Der größte Reiz ist wohl meine große Neugier. Es ist sehr spannend, Bereiche zu erforschen, in die noch nie ein Mensch vorgestoßen ist.
Kollegen nennen Sie den „Paparazzo der Elektronen“, weil sie Dinge sehen, die nicht jeder sieht. War das schon immer Ihre Begabung?
Das ist keine Begabung, das hat nur mit den Techniken zu tun, die ich mit vielen Kollegen über Jahre entwickelt habe. Mein Verdienst war, daran zu glauben, dass das möglich sein wird. Und diesen Weg auch bei Rückschritten weiterzugehen.
Haben Sie mit dem Nobelpreis so etwas wie ein Lebensziel erreicht?
Nein, mein Lebensziel ist es, in der Forschung neue Erkenntnisse zu gewinnen, die das Potenzial bieten, dass daraus etwas Wichtiges entstehen kann. Der Nobelpreis ist aber natürlich ein tolles Feedback.
Interview: Katrin Woitsch