„Schluss mit höher, schneller, weiter“

von Redaktion

Neues Buch über bedrohte Alpen: Felix Neureuther fordert Kurskorrekturen beim Tourismus

VON ANDREAS BEEZ

München – Von seinen Eltern Rosi Mittermaier und Christian Neureuther (74) hat er die Liebe zu den Alpen geerbt. Inzwischen ist Felix Neureuther (39) selbst dreifacher Papa und vermittelt seinen Kindern (1, 3, und 5) bei jeder Gelegenheit den Zauber seiner Werdenfelser Heimat. „Die Natur zu erleben, zu riechen, zu fühlen – das macht was mit dir“, weiß Neureuther und gießt dieses erfüllende Gefühlsgemisch aus Dankbarkeit und Demut in nachdenkliche Worte: „Wenn du mal die Schönheit, aber auch die Naturgewalt und Urkraft in den Bergen wirklich hautnah erlebt hast, dann merkst du erst, was du als Mensch für ein kloaner Schoaß bist.“

Doch das Paradies aus Fels, Eis und Almwiesen ist akut in Gefahr – und um es retten, bedarf es laut Neureuther eines Umdenkens in der Gesellschaft, auch im Tourismus. Dafür warb er jetzt bei der Vorstellung seines neuen Buchs „Das Erbe der Alpen“. „Nachhaltiger Tourismus ist unsere einzige Chance, Massentourismus würde alles kaputt machen“, so das Credo des einstigen Ski-Profis.

Dass er früher selbst „Zerstörer der Bergwelt“ war, wie es sein Co-Autor Michael Ruhland schonungslos offen formulierte, leugnet Neureuther nicht. „Ich will meine Zeit als Skifahrer nicht missen, aber irgendwann schaust du halt über den Tellerrand hinaus, fängst an, Dinge zu hinterfragen.“ Diesen Entwicklungsprozess beschreibt der heutige TV-Skiexperte so: „Bei den Gletscher-Trainingseinheiten begann ich zu realisieren, wie mir mein Lebensinhalt praktisch unter den Füßen wegschmolz. Mir wurde klar, dass ich selbst und wir alle ein Teil des Problems sind.“

Nun will Neureuther nach Lösungen suchen – und zwar ohne erhobenen Zeigefinger. In seinem beeindruckenden Buch, das im Verlag Gräfe und Unzer erschienen ist, erzählt er gemeinsam mit dem sprachgewaltigen Michael Ruhland von der Kraft der Traditionen in den Bergen. Von Bergbauern, die im Sommer mit Steigeisen über 40 Grad steile Wiesenhänge mit der Sense mähen, von einer Kräuterhexe im positiven Sinne, die allerlei Salben und Tinkturen herstellt, ohne diese bei Amazon oder auf Youtube zu vermarkten. „Wir sind zufrieden mit dem, was wir haben und wie es ist“, erzählte die über 80 Jahre alte Südtirolerin – und bestärkte Neureuther damit in einer fundamentalen Erkenntnis: „Es muss Schluss sein mit höher, schneller, weiter.“ Dies gelte für jeden Einzelnen, und für die Einheimischen in den Bergen genauso wie für ihre Gäste.

Beispiele für den „Overtourism“, wie der Ansturm auch in den Alpen neudeutsch genannt wird, gebe es genug – auch in seiner Heimat. „Manchmal ist es einfach zu voll, wir merken das beispielsweise an der Zugspitze und am Eibsee, vor allem im Sommer.“

Den Skisport will Neureuther in seiner Wunschrolle als geläuterter Botschafter der Berge übrigens nicht verteufeln. „Skifahren ist Kultur, es gehört zu den Bergen, macht den Menschen Freude, zaubert funkelnde Augen in die Gesichter der Kinder. Das darf man ihnen nicht nehmen. Die Frage ist nur, wie es uns gelingt, den Skisport nachhaltiger zu machen.“ Dazu wünscht sich Neureuther etwa, dass Skigebiete nicht nur nach Pistenkilometern und Après-Ski-Hütten bewertet werden, sondern beispielsweise nach ihrem Engagement in Sachen Energieeinsparung und Umweltschutz. „Solche Kriterien müssen viel stärker berücksichtigt werden.“

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