Das blutige Finale

von Redaktion

HITLERPUTSCH-SERIE Trotz Eskalation nur milde Strafen für Putschisten und Geiselnehmer

VON DIRK WALTER

Rückblick auf die bisherigen Folgen: Der bayerische Generalstaatskommissar Gustav von Kahr und die Spitzen der bayerischen Polizei und der Reichswehr weigern sich, beim Hitlerputsch mitzumachen. Als letzten Ausweg wählen die Putschisten einen Marsch durch München. Um die Mittagszeit ziehen 2000 Putschisten durch die Weinstraße Richtung Odeonsplatz.

Es könnte sein, dass Ludendorff zum Wehrkreiskommando an der Ludwig-/Schönfeldstraße ziehen wollte, dem Dienstsitz des bayerischen Reichswehrkommandanten Otto von Lossow. Der Zug der Putschisten bog aber zunächst in die Perusastraße ab, weil an der Theatinerstraße schon Landespolizei stationiert war. Doch dann war auch der Odeonsplatz versperrt. Der Landespolizei-Führer Michael von Godin gab später zu Protokoll, was beim Aufeinandertreffen zwischen Putschteilnehmern und Landespolizei passierte: „Einzelne meiner Leute wurden angepackt und ihnen die entsicherte Pistole auf die Brust gesetzt. Meine Leute arbeiteten mit Kolben und Gummiknüppeln. Ich persönlich hatte zu meiner Verteidigung (…) einen Karabiner genommen, parierte damit zwei mir vorgehaltene Bajonette und rannte die Betreffenden mit quer vorgehaltenem Karabiner über den Haufen. Plötzlich gab ein Hitlermann, der einen Schritt halblinks vor mir stand, einen Pistolenschuß auf meinen Kopf ab. Der Schuß ging an meinem Kopf vorbei und tötete einen hinter mir stehenden Wachtmeister meiner Stationsverstärkung. Wie sich später herausstellte, den Unterwachtmeister Hollweg Nikolaus.“

13 Putschisten und vier Polizisten starben, neben Hollweg auch die Landespolizisten Rudolf Schraut, Friedrich Fink und Max Schoberth, zudem ein Oberkellner Karl Kuhn als Unbeteiligter. Er wurde später zu den getöteten Nationalsozialisten hinzuaddiert. Zwei weitere Tote aufseiten der Putschisten gab es beim Scharmützel um die Befreiung des Wehrkreiskommandos.

Mit den Polizisten befasste sich als Erster eingehend der (verstorbene) Münchner Rechtsanwalt Otto Gritschneder in einem Buch von 1990. Er sorgte auch für eine Gedenktafel, die am Boden des Odeonsplatzes eingelassen wurde. Es gibt sie nicht mehr. Später veranlasste Innenminister Joachim Herrmann eine Gedenktafel am Gebäude.

Einige Tote und Schwerverletzte waren schlicht die Fahnenträger des Zuges, weil sie vorne in der 1. Reihe marschierten. Ein Beispiel ist Felix Allfarth, Kaufmann bei Siemens, ein junges und unbedeutendes NSDAP-Mitglied, von dem die Putsch-Führung nicht einmal den korrekten Namen angeben konnte, wie eine von ihnen aufgegebene Todesanzeige in der „Münchener Zeitung“ zeigt. Hinter den Fahnenträgern in der zweiten Reihe marschierte dann aber die Parteiprominenz mit Hitler, Ludendorff und einigen „intellektuellen“ Vordenkern der NSDAP. Hier gab es hohe Verluste – bekanntlich aber nicht Hitler –, und es ist erstaunlich, dass die Nazi-Partei das bei ihrem Wiederaufstieg in den 1920er-Jahren so einfach wegstecken konnte. Während Hitler von dem sterbenden Max-Erwin von Scheubner-Richter zu Boden gerissen wurde und sich lediglich den Arm auskugelte, erlitt Hermann Göring eine schwere Schussverletzung, die er nur mit Glück überlebte. Er flüchtete nach Österreich, selbst die Nationalsozialisten hielten ihn in den ersten Tagen für tot, wie eine Todesanzeige in der „Münchener Zeitung“ zeigt. Hitler flüchtete in die Villa des Nazi-Sympathisanten Ernst Hanfstaengl in Uffing am Staffelsee, wo er am 11. November aufgespürt und verhaftet wurde. Das Haus gibt es noch, es steht derzeit leer.

Eine andere Symbolfigur, Ludendorff, blieb unverletzt – und ungeschoren. Nicht einmal eine Untersuchungshaft wollte die bayerische Justiz gegen ihn verhängen.

Unter den Toten war indes auch der 2. Vorsitzende der NSDAP, Oskar Körner, der bei der Ausdehnung der Partei auf dem Land eine wichtige Rolle eingenommen hatte. Ebenfalls tot: Theodor von der Pfordten. Er war Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht und ein Beispiel dafür, wie rechtsextrem durchsetzt die bayerische Justiz in den 1920er-Jahren war. Pforten trug in seiner Jacke eine Art nationalsozialistische Verfassung. Sie stützte sich auf Vorarbeiten des Alldeutschen Verbands und ist im Original nicht erhalten geblieben. Da aber in den 1920er-Jahren auf Betreiben des damaligen SPD-Landtagsabgeordneten Wilhelm Hoegner, nach 1945 Ministerpräsident in Bayern, ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde, ist sie im stenografischen Bericht des Landtags dokumentiert. Die einzelnen Paragrafen zeigen, wie radikal die Putschisten vorgehen wollten. So hieß es in v.d. Pfordtens Entwurf:

– „Jüdische Beamte sind bis auf Weiteres vom Dienst enthoben.“

– „Bis auf Weiteres ist die Pressefreiheit aufgehoben.“

– „Das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen der in Deutschland aufhältlichen Angehörigen des jüdischen Volkstums ist beschlagnahmt“.

– „Alle parlamentarischen Körperschaften … sind aufgelöst. Wer … weiterhin teilnimmt und wer zur Teilnahme auffordert, wird mit dem Tode bestraft.“

Was wurde aus den Geiseln? Die verhafteten Stadträte durchlebten eine Odyssee, sie wurden auf einem Lkw bis Höhenkirchen verschleppt, ehe man sie freiließ. Die jüdischen Geiseln verharrten im Bürgerbräu und wurden dort befreit. Die in einer Art „Ehrenhaft“ festgehaltenen Minister und hohen Beamten warteten in der Villa des rechtsradikalen Verlegers Lehmann auf ihre Befreiung. Zwei von ihnen, Landwirtschaftsminister Johannes Wutzlhofer und Innenminister Franz Schweyer, wurden zuvor aber noch bis Bad Tölz gekarrt, ehe man sie entließ.

Ein besonders trauriges Kapitel ist die juristische Aufarbeitung des Hitlerputsches. Hitler selbst wurde von einem krass rechts stehenden Richter Georg Neidhardt lediglich zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt – unter Zubilligung einer Bewährungsstrafe (da er schon einmal in Haft gesessen hatte, ein schwerer Rechtsverstoß). Die anderen Angeklagten kamen noch milder davon, Ludendorff sogar ganz straffrei!

Drei Dutzend Mitglieder des Stoßtrupps Hitler – verantwortlich für die Demolierung der „Münchner Post“ und die Gefangennahme Münchner Stadträte – wurden am 23. April 1924 wegen „Beihilfe zum Hochverrat“ verurteilt. Das Gericht hielt ihnen aber zugute, „in lauterer Gesinnung“ gehandelt zu haben, und beließ es bei Bewährungsstrafen.

Skandalös war das Verfahren gegen sechs Mitglieder des Bund Oberland, die Juden als Geiseln genommen hatten: Am 27. September 1924 lehnte das Amtsgericht München den beantragten Strafbefehl wegen Amtsanmaßung, Freiheitsberaubung und Nötigung ab. Es könne nicht widerlegt werden, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Geiselnahmen der Meinung gewesen seien, sie handelten im Auftrag der rechtmäßigen Regierung. Dass der Antisemitismus der Putschisten rasch in Vergessenheit geriet – und von vielen Historikern bis heute kaum erwähnt wird – liegt auch an dieser fehlenden juristischen Aufarbeitung. (Ende der Serie)

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