Er zeichnet, was andere schimpfen: Karikaturist Hans Reiser. © Arndt Pröhl (3)
Der Drietschla als müder Jockey.
Der Siasskasa kocht süßen Käse. © Reiser
Ein Drietschla ist im Bairischen ein Mensch, der nie so recht in die Gänge kommt. Er ist zögerlich, innerlich antriebslos – also ein gutes Stück behäbiger als ein Trödler. Hans Reiser aus Reichersbeuern im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen hat das urige Wort zeichnerisch zu Papier gebracht: Der Drietschla, ein Jockey mit tiefen Augenringen, reitet kein Rennpferd, sondern eine Schnecke. Diese Karikatur ist aber nur eine von insgesamt hundert bairischen Kraftausdrücken, die Hans Reiser für sein Buch „Loamsiada, Doagaff, Siasskasa“ illustriert hat. Ja Saxndi, wie kam der 73-Jährige denn bloß auf diese Idee?
Herr Reiser, haben Sie ein Lieblingsschimpfwort?
Ich grantel eher so rum. Bei schlimmen Nachrichten grolle ich auch mal. Nur der Straßenverkehr bringt mich auf die Palme. Innerhalb meines Faradayschen Käfigs entfleuchen mir Kraftausdrücke, die auch auf Hochdeutsch verbreitet sind. Aber sobald ich erzähle, was mir auf der Fahrt passiert ist, verwende ich mildere Ausdrücke – Drietschla zum Beispiel. Da fällt gleich auf: Bei bairischen Schimpfwörtern schwingt kein Hass mit, aber sie sind unheimlich plastisch und ausdrucksstark.
100 Schimpfwörter im Dialekt. Woher kennen Sie so viele?
Es gibt einen Schimpfkalender mit 365 Wörtern. Andererseits bin ich gebürtiger Lenggrieser und in der Nähe des Sylvensteinsees aufgewachsen. In meinem Elternhaus war der Siasskasa recht geläufig, obwohl ich jetzt festgestellt habe, dass den wenige kennen. Ein Süßholzraspler ist gemeint. Ein Schleimer, der keinen würzigen, sondern Käse so süß wie Kuchen macht. Bei der Recherche bin ich auf weitere seltene Schimpfwörter gestoßen: auf Chef-Zapferl zum Beispiel, einen Arschkriecher, oder auch auf die Tabernakelwanze, eine bigotte Betschwester.
Kommen Ihnen immer sofort Bilder in den Sinn?
Bei manchen Wörtern springen mich sofort Bilder an, bei anderen nach ein bisserl Grübeln. Der Loamsiada ist ein gutes Beispiel. Das ist ein Langweiler mit keinem allzu stürmischen Gemüt. In meiner Karikatur kocht ein Mann Leim über einer Kerze. Die Kleberfäden ziehen sich wie Kaugummi, auf seiner Hand sitzt eine Schnecke.
Gibt‘s in Ihrem Buch weibliche Schimpfwörter?
Manche Ausdrücke gehören für mich definitiv zu einem Geschlecht. Der Dschambsdara, ein schmieriger Charmeur, ist auf jeden Fall ein Mann – genau wie der Koirabi-Apostl. Eine Schnepfn oder eine Zuchtl sind sicherlich Frauen. Die meisten Ausdrücke muss man aber nicht gendern. Die Zwiderwurzn ist zwar eher weiblich, aber in meiner Karikatur verkörpert sie ein Mann – genau wie die Rauschkugel.
Sind Sie für das Illustrieren all dieser Kraftausdrücke geschimpft worden?
Nein, zum Glück nicht. Ich bin ein leidenschaftlicher Manschgerl-Maler – und es liegt ja in der Natur eines Karikaturisten, nicht nur schöne Gesichter zu zeichnen. Das Schöne am Schimpfen auf Bairisch ist, dass es eher ein Dableckn, nicht aber Verletzen ist. Hochdeutsche Schimpfwörter verkörpern für mich eher Hass und Zorn, im Dialekt ersparen sie uns eher viele Adjektive. Jeder weiß, ein einziger Dodschn sagt doch mehr als tausend Worte.
Ausstellung
Reisers Karikaturen sind bis 23. Oktober im Bürgersaal des Stadtmuseum Bad Tölz zu sehen. Dort sowie in Buchhandlungen in Bad Tölz, Lenggries und Wolfratshausen bietet er sein Buch für 30 Euro zum Verkauf an. Während der Ausstellung signiert er es auch.