Die letzten Tage des Reggae-Königs

von Redaktion

Bob Marley reiste kurz vor seinem Tod an den Tegernsee – Heute wäre sein 80. Geburtstag

Urlaub in Bayern im März 1981: Bob Marley mit seiner Mutter Cendella Booker. © IMAGO

Christian von Schweinitz war 20 Jahre alt, als Bob Marley bei seiner Familie zu Gast war. © privat

Der Reggae-König im Schnee-Paradies: Bob Marley 1980 vor der Klinik von Dr. Josef Issels am Tegernsee. © Guido Krzikowski

Im Juni 1980 gab Bob Marley ein Konzert im Münchner Reitstadion. © picture alliance

Rottach-Egern/Weilheim – Vor gut zwei Wochen klingelt es bei Christian von Schweinitz an der Tür, und schlechter könnte es nicht passen. Gerade ist seine Mutter gestorben, die Familie trauert in dem Haus in Rottach-Egern am Tegernsee. Christian von Schweinitz, 64, kriegt das gar nicht recht mit, irgendjemand schickt die Besucherin weg und bittet sie, Ende der Woche noch einmal zu kommen. Von Schweinitz denkt nicht mehr dran, als es letzten Freitag wieder klingelt. Und dann steht da: eine Enkelin von Bob Marley, Superstar und Reggae-Ikone. Buffalo Soldier, I shot the Sheriff, No woman, no cry. Die ganze Welt kennt seine Songs.

Sie würde sich gerne, so bittet die junge Frau Mitte 20 auf Englisch, anschauen, wo ihr Opa seine letzten Wochen verbracht hat. Genau in diesem Haus nämlich, mehr als 250 Jahre alt, viel Holz, niedrige Decken, kleine Fenster. Von Schweinitz bittet die Enkelin herein, ihr Name geht in der Aufregung unter. Sie hatte in einem alten Artikel seinen Namen gelesen, sich im Ort durchgefragt. Und zusammen gehen sie noch einmal auf Spurensuche.

Heute wäre Bob Marley 80 Jahre alt geworden. Seinen letzten Geburtstag am 6. Februar 1981 hat er auf der Holz-Eckbank der Familie von Schweinitz gefeiert. Damals wird er 36. Jemand hat einen Kuchen in Gitarrenform gebacken, hinter dem abgemagerten Bob Marley hängt ein Bild mit drei nackten Engeln, „das hat ihm gefallen“, erinnert sich Christian von Schweinitz, damals 20 Jahre alt. Er zeigt es der Enkelin, sie lächelt. Zu der kleinen Geburtstagsparty 1981 ist Marleys Mutter Cendella Booker gekommen, ein paar Freunde, und auch der Arzt Josef Issels stößt mit an. Issels ist die letzte Hoffnung des jamaikanischen Musikers, der unheilbar erkrankt ist. Schwarzer Hautkrebs, Tumore in Leber, Lunge, Gehirn. Issels versteht sich als Alternative zur Schulmedizin, behandelt in seiner Ringbergklinik viele prominente Patienten.

Das frühere Klinikgebäude gibt es nicht mehr, aber Christian von Schweinitz zeigt der Enkelin das Grundstück. Er erinnert sich noch gut daran, wie Bob Marley morgens aus dem Haus ging und die paar hundert Meter zur Therapie spazierte, eingepackt in einen dicken Mantel, mit Sonnenbrille und Mütze. „Es war ein schneereicher Winter“, sagt er, „ich war für das Schneeräumen zuständig.“ Der Musiker begrüßt ihn stets freundlich auf Deutsch, manchmal schnappt er sich eine Schaufel und hilft dem 20-Jährigen, manchmal machen sie eine Schneeballschlacht. „Er kam mir gar nicht so krank vor.“ Der Student bringt ihm ein paar Brocken Bairisch bei. An einem besonders eisigen Tag ruft von Schweinitz ihm zu: „Gell, Bob, heute ist es gar nicht kalt.“ Der antwortet: „Ned wirklich!“ Und lacht sich kaputt.

Die Familie macht damals keine Fotos, es gibt nur ein Autogramm auf einem Albumcover. Christian von Schweinitz und seine jüngere Schwester sind damals sehr diskret, sie wissen, dass Bob Marley seine Ruhe haben will. Er war zuvor im Luxushotel Bachmair abgestiegen, aber da fehlt ihm Privatsphäre. Deshalb mietet sich der Jamaikaner ab Oktober 1980, kurz nach seinem letzten Konzert in Pittsburgh, mit ein paar Leuten bei den von Schweinitz ein, erst nur eine 120 Quadratmeter große Ferienwohnung, später zwei. Sie machen Musik, rauchen Cannabis, kochen viel Gemüse, sehr viel. „Da hat es gedampft, dass man nicht mehr ins Fenster schauen konnte“, erinnert sich von Schweinitz. Manchmal holt einer am Flughafen Lebensmittel, die extra für Bob Marley eingeflogen werden. Bis Ostern wohnt er dort. Dann ist die Ferienwohnung an andere Gäste vermietet, Bob Marley zieht im Ort noch einmal um, von Schweinitz‘ Vater vermittelt ein Haus in der Nähe.

Anders als das vermutlich heute wäre, hat der Superstar in diesen Monaten im Tegernseer Tal erst einmal seine Ruhe, bevor die Paparazzi ihm dann ganz schön zusetzen. Die Kur wird zunächst geheim gehalten, manche kennen ihn gar nicht, es gibt keine Handys, und man geht damals nicht ständig zu Konzerten – obwohl Bob Marley noch im Juni 1980 im Reitstadion Riem aufgetreten war. Trotzdem erinnern sich viele Einheimische noch an ihn, und wenn sie nur beobachtet haben, wie der Jamaikaner durch die Natur spazierte.

Christof Bayer hat sogar was Handfestes daheim im Regal. Ein kleiner, karierter Zettel, abgerissen von einem Notizblock. Darauf steht in krakeliger Superstar-Handschrift: „All the Best – Bob Marley.“ Bayer, Jahrgang 1960, spielt als junger Mann Fußball beim TSV Weilheim. Im April 1981 fahren die erste und die zweite Mannschaft zum Bezirksliga-Spiel nach Rottach-Egern. „Das war überschaubar dort“, sagt Bayer, heute Architekt in Bad Kötzting. „Die Tribüne waren ein paar Holzbänke.“ Christof Bayer schaut mit seinen Spezln der Ersten zu, als ihnen ein paar Männer auffallen, die hinter einem Tor kicken. Sie sind schwarz, tragen die rot-gelb-grünen Rasta-Strickmützen. Einer sitzt auf der Bank und schaut zu. Bayer fragt die Einheimischen neben sich: Wer ist denn das? Da antwortet ein älterer Herr in breitem Dialekt: „Da hockt da Reggae-König, da Bob Marley.“

Christof Bayer und sein Spezl gehen näher hin. „Ich hätte ihn fast nicht erkannt“, erinnert er sich. „Der war so klein, zusammengesunken, abgemagert.“ Seine berühmten Rastalocken hat er seit seiner Chemotherapie in New York nicht mehr. Bob Marley ist großer Fußballfan, es gibt viele Fotos von ihm mit Ball. Tragischerweise hatte er sich beim Kicken mit Journalisten in Paris am Zeh verletzt, der Anfang vom Ende. Als das behandelt wird, stellen Ärzte Hautkrebs fest. Doch einer Amputation verweigert sich der Rastafari aus religiösen Gründen, so kann sich der Krebs im ganzen Körper ausbreiten. Die Weilheimer wissen das damals natürlich nicht, sie stammeln was auf Englisch, sind aufgeregt. Aber er gibt ihnen Autogramme. Später schreibt Christof Bayer das Datum dazu, 20. 4. 1981, und steckt das Zetterl in die Hülle einer Best-of-CD. „Ich bräuchte es eigentlich nicht“, sagt er. „Die Geschichte ist in meinem Kopf, für immer.“

Es gibt noch eine Anekdote von diesem Fußballnachmittag in Rottach-Egern, aber die kennt Bayer nur vom Hörensagen. Ein Fußballkamerad erinnert sich, dass Marley nach dem Spiel in den Weilheimer Mannschaftsbus gestiegen ist, um den einen Kilometer zurück in den Ort zu fahren. Beim Aussteigen drückt Marley den Spielern einen Hunderter in die Hand, für Bier. Der nahbare Superstar, sympathisch, freundlich, positiv.

Im Mai 1981 ist klar, dass Bob Marley nicht mehr gesund wird. Er will zum Sterben heim, nach Nine Miles, Jamaika. Vorher kommt er noch einmal bei der Familie von Schweinitz vorbei, um sich zu verabschieden. Er sagt, dass es eine schöne Zeit gewesen sei. Schon am Flughafen Riem geht es ihm so schlecht, dass zunächst unklar ist, ob er fliegen kann. Bei einer Zwischenlandung in Miami am Morgen des 11. Mai 1981 ist er zu schwach für den Weiterflug. Er wird ins Krankenhaus gebracht. Wenige Stunden später stirbt er mit 36 Jahren.

Die Enkelin setzt sich bei ihrem Besuch in Rottach-Egern auch auf die Eckbank. Ihr Begleiter macht ein Foto, sie schicken es gleich der Familie nach Miami, Florida. Noch einmal erzählt die junge Frau, die übrigens eines von stolzen 38 Enkelkindern des polygamen Bob Marley ist, wie gut es ihrem Opa am Tegernsee gefallen hat. Christian von Schweinitz sagt: „Manche Menschen hinterlassen eine schöne Spur im Leben. Bob Marley war so ein Mensch.“
CARINA ZIMNIOK

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