Der CSU-Machtkampf

Ein Rückzug zum Raten

von Redaktion

VOn Christian Deutschländer und Sebastian Dorn

München – Mitten an diesem aberwitzigen Tag suchen alle im Landtag hektisch nach Horst Seehofer. Er soll geflüchtet sein vor mordlüsternen Abgeordneten, versteckt sein Rücktrittsschreiben diktieren, andere raunen im Vorbeihasten vom alles entscheidenden Geheimgespräch mit dem verhassten Rivalen Markus Söder. Dabei würde ein Blick aus dem Fenster genügen. Der Herr, der mitten im Hof ziemlich ungestört an einer der dicken Limousinen lehnt, ist Horst Seehofer.

Er öffnet die hintere Wagentüre, nicht zur Flucht, sondern um sich gemütlich draufzustützen. In aufreizender Gelassenheit blickt er über das gepanzerte Seitenfenster hinweg und beginnt zu plaudern. Über den Tag, über die Gespräche. Über die plötzliche Zurückhaltung in der bis gestern noch blutdürstigen CSU. „Ich war mir sehr sicher, dass wir zusammenfinden“, sagt er. „Eine Sternstunde“, sagt er mehrfach. Ach ja, und noch die Kleinigkeit, dass er am Abend womöglich zurücktreten wird. Sich aber noch überlege, von welchem seiner Ämter.

Es ist eine Szene, wie Seehofer sie liebt. Wenn um ihn herum ein politischer Hurrikan tobt, er in demonstrativer Ruhe in der Mitte steht und sich keines seiner weißgrauen Haare auch nur kräuselt, fühlt er sich am wohlsten: Alle überraschen, dann so tun, als wäre das immer so von ihm vorgesehen worden.

Tatsächlich läuft dieser Tag ganz anders, als ihn sich viele vorher ausgedacht haben. Im Zentrum steht das Treffen Seehofers mit seiner Landtagsfraktion. Viele der Abgeordneten plagt seit Tagen eine Gesichtsfarbe, so knallrot wie die Wand des Fraktionssaals. Sie wollen dem Regierungschef ihren Groll entgegenrufen, ihn zur Rechenschaft ziehen für das 38,8-Prozent-Desaster vom September, ihn auffordern, endlich den Weg für einen geordneten Übergang frei zu machen. „Es knallt“, orakelte kurz vorher noch ein Zorniger.

Ach, nichts knallt, es entweicht nur ein bisschen heiße Luft aus der CSU, ein „fffffft“. Denn intern hat Seehofer mit wenigen, seit Monaten überfälligen Gesten angedeutet, dass er verstanden hat: Er hat, wohl auf einer der langen Autofahrten aus Berlin nach Ingolstadt, seinen Finanzminister Markus Söder angefunkt. Man weiß nicht, was sie besprachen, dass sie sich überhaupt SMS senden, ist angesichts des zerrütteten Verhältnisses ja schon ein Zeichen. „Ein intensiver Kontakt“, sagt Seehofer. „Ein intensiver Kontakt“, bekräftigt Söder. Das scheint zur Deeskalation zu genügen. Am Morgen schon sitzen die Abgeordneten, nach Regionalgruppen geordnet, beisammen. Sie erfahren von den versöhnlichen SMS. Viele schließen daraus, ihr Favorit Söder werde nun zügig Ministerpräsident, auch wenn das so noch lange nicht ausgemacht ist.

In der Fraktionssitzung folgen von Seehofer warme Worte. „Ich werde alles dafür tun, dass es eine Lösung gibt, die eint, zusammenführt und befriedet“, zitieren ihn Zuhörer. Er geht fast gar nicht ein auf die innerparteilichen Attacken der letzten Tage, auf den eskalierenden Umgangston in der CSU („Leichtmatrosen“, „Zerstörer“). „Liebe Freunde“, sagt er einmal nur, als tadle er eher sanft ein Kind.

Eilig meldet sich Söder. „Dankeschön und Respekt“ für Seehofers Sondierungen in Berlin, oft das Wort „Anstand“. „Ich sagte immer, dass ich die Hand reiche.“ Mehrere seiner harten Unterstützer melden sich, teils blumig. „Ein schönes, zartes Pflänzchen an versuchter Einigkeit“, sieht einer. Erwin Huber, ehemaliger Parteichef und zum blutigen Nadelstich fähig, lobt: „Diese Signale stimmen hoffnungsvoll.“ Der Freisinger Abgeordnete Florian Herrmann steht sogar auf und bittet um Entschuldigung für seine wüsten Worte gegenüber Ilse Aigner („parteischädigend“, „perfide“), sie seien „völlig überzogen gewesen“. Beifall.

Nein, das ist keine explosive Sitzung. Dabei ist der Preis für diesen Waffenstillstand für den politisch angegriffenen Seehofer in Wahrheit bisher minimal. Weder spricht er bis zum Abend aus, dass er im Herbst 2018 nicht mehr CSU-Spitzenkandidat werden will, noch kündigt er die Aufgabe des Ministerpräsidenten-Amts an, auch nicht des Parteivorsitzes.

Auch das ist eine Last-Minute-Entscheidung, Produkt dieses Tages. Am Morgen ruft er Freunde an, die wenigen, die einem Politiker bleiben. Um 10 Uhr lässt er sich in die Parteizentrale fahren, holt seine engsten Mitarbeiter zu sich und bittet jeden einzeln um einen ehrlichen Rat. Sie sollen ihm sagen, ob er zurücktreten soll, von welchem Amt, wann. Dann mittags die Gespräche mit den Abgeordneten, später mit Söder in der Staatskanzlei. Am frühen Abend trifft er Vertreter der Parteispitze, etwa Barbara Stamm. Diese Runde ist es, die ihm davon abrät, sich gleich auf einen Amtsverzicht festzulegen. Um 18:15 Uhr geht Seehofer festen Schrittes und grinsend vor den Parteivorstand, das zweite große Gremium an diesem Tag, und vermeldet, dass doch noch nichts zu vermelden ist.

Stattdessen soll eine Runde aus Theo Waigel, Edmund Stoiber und der überall respektierten Barbara Stamm bis 4. Dezember mit ihm gemeinsam Gespräche in der Partei führen, bei Abgeordneten aller Ebenen, der Frauen-Union, der Jungen Union. „Eine Lösung mit Zukunft“ an der Spitze von Partei und Regierung werde gefunden, verspricht er. Das mag wie die Ankündigung des Amtsverzichts klingen, dann wär’s ein riesengroßer Schritt. Seehofer legt damit aber bei Licht betrachtet gar nichts fest – für die Zukunft hatte er sich ja auch im 69. Lebensjahr immer selbst gehalten.

Der Kampf um die Deutung des Tages geht also nun voll los, auch wenn es ein Weilchen dauert, bis das bei Söders Leuten einsickert. „Täuschen und tarnen“, murrt einer, der was von beidem versteht. Söder selbst eilt am Abend vor jede Kamera, die er zu fassen bekommt – ARD, ZDF, BR –, um sich als zentralen Teil der Lösung zu präsentieren. „Jetzt müssen diese Gesten gute Ergebnisse werden“, sagt er in Richtung seines Dienstvorgesetzten.

Seehofer hingegen erklärt spätabends heiter, er brauche zur harmonischen Lösungsfindung halt noch „bisschen Zeit, die ich bisher nicht hatte“. Er nehme das ernst, „wir wollen’s ja nicht auslosen“.

Eine Sternstunde, wohl wahr, nur ist offen, für wen.

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