Claus Fussek, 64, ist Deutschlands bekanntester Pflegekritiker und arbeitet hauptberuflich bei der Vereinigung Integrationsförderung (VIF) in München.
Herr Fussek, Sie sagen, das Thema Pflege finde bei uns nicht statt. Haben wir denn einen Notstand?
Natürlich haben wir den! Wir haben uns leider an die Begriffe Pflegemangel und Zeitdruck gewöhnt. Jeder, der es wirklich wissen will, kann sich vor Ort erkundigen. Wenn Sie in ein Heim kommen und fragen, wie viele Hände da sind, dann sind das meist zwei Pflegekräfte für circa 30 Menschen. Da brauche ich keine Heimaufsicht, um zu sehen: Das kann halt nicht gehen. Im Prinzip wissen das alle. Ich kenne auch keinen Politiker, der für schlechte Pflege wäre.
Welche Rolle spielen ausländische Pflegekräfte?
Wir haben ein Problem, und wenn wir das nicht in den Griff kriegen, werden wir bald ganz offensiv über aktive Sterbehilfe sprechen müssen. Es ist eigentlich egal, woher die Mitarbeiter kommen, wenn sie geeignet sind. Entscheidend ist, dass in einer guten Einrichtung Deutsch gesprochen wird, im Team und mit den alten Menschen. Wir haben viele Demenzkranke, für die ist es wichtig, dass sie ihre Pfleger verstehen. Absurd ist, wenn man sagt: Alle Langzeitarbeitslosen und Flüchtlinge in die Pflege. Da wundern wir uns, dass die Pflege so ein schlechtes Image hat! Ich kann doch nicht auf der einen Seite die Anforderungen in der Ausbildung hoch-schrauben und dann sagen: Alle, die woanders nicht unterkommen, in die Pflege. Abgesehen davon: Ein Teil derer, die heute in der Pflege arbeiten, hätten im Tierpark Hellabrunn wegen mangelnder Empathie keine Stelle bekommen. Das ist keine Polemik, das ist leider Fakt.
Man muss doch das Blatt wenden können.
Im Prinzip sind das ja einfache Dinge. Schauen Sie, was positive Einrichtungen mit denselben Mitteln anders machen. Ein Heim völlig ohne Mangel kann es nicht geben. Aber in solchen Leuchtturm-Einrichtungen wird auch das Personal gepflegt. Zufriedene Mitarbeiter sorgen für zufriedene Gäste. Und die Alten sind Gäste. Wir brauchen einen Perspektivenwechsel: Das schwächste Glied in der Kette sind nicht die Pflegekräfte. Das sind die Alten, die Kranken, die Sterbenden. Ich bin Tierfreund, aber ich muss sagen: Das Schicksal der Wölfe oder Biber hat mehr Interesse als das Schicksal alter, pflegebedürftiger Menschen.
Interview: Kathrin Brack