München – Kurz vor der Kommunalwahl hat die CSU einen wundersamen Sprechautomaten in Betrieb genommen. Auf Knopfdruck versendet die Partei ein individuelles Werbevideo von Markus Söder. Der CSU-Chef hat, kein Scherz, stundenlang in einem Studio die 300 wichtigsten Vornamen eingesprochen. Der Computer schneidet daraus ein personalisiertes Video, in dem Söder jeden Bayern, vom „lieben Adam“ bis zur „lieben Yvonne“, herzlich bittet, an die Wahl zu denken.
Im Wahlkampf ist der Sprechautomat eine drollige Idee. Allmählich könnte man allerdings den Eindruck bekommen, das Programm wäre umfangreicher im Einsatz. In der Führungsdebatte der CDU ist Söder omnipräsent. Kaum ein Sender, keine Zeitung, in der der CSU-Vorsitzende nicht Ratschläge an die CDU ausgibt. Schneller! Langsamer! Gemeinsamer! An die zehn Interviews, Talkshow-Auftritte und Pressekonferenzen absolvierte Söder binnen weniger Tage, eine selbst für ihn enorme bundesweite Präsenz. Wichtig: Kein Interview ging daneben, jedes klingt gut, jedes festigt seinen Machtanspruch. Aber kurioserweise wird von Mal zu Mal diffuser, was Söder selbst will.
Wer CDU-Parteivorsitzender werde, sei natürlich allein Sache der CDU, wiederholt Söder, man werde keine besserwisserischen Ratschläge erteilen. Dann erteilt er fleißig Ratschläge. Die CDU dürfe das Land nicht mit einer monatelangen Kandidaten-Tingeltour lähmen. „Ich rate, die Wahl des neuen CDU-Vorsitzenden nicht endlos hinauszuschieben.“ Woche für Woche neue Personalvorschläge seien nicht hilfreich. Was bei der SPD nicht funktioniert habe, dürfe die CDU jetzt nicht nachmachen.
Wie wuchtig Söders Wort wirkt, zeigt sich seit Februar. Direkt nach dem Thüringen-Fiasko gab er ohne Rücksprache mit Annegret Kramp-Karrenbauer oder Angela Merkel den Kurs der Union („Neuwahlen!“) öffentlich vor. Auch weil dort niemand die Führung übernahm. Als AKK zurücktrat, pustete Söder mit ein paar Sätzen ihren langen Zeitplan für eine Nachfolge um. Ihre Idee, CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur zu verknüpfen, empfand er als dreist: Bei der K-Frage werde die CSU mitentscheiden!
Wer genau hinschaut, stellt fest: Vergangene Woche hat Söder der Noch-Kollegin AKK deshalb schlicht das Verfahren aus der Hand genommen. Er diktiert den Zeitplan, er beäugt die Aspiranten. In mehreren Interviews fiel der Satz, ein Kandidat müsse mit modernen Konzepten kommen, nicht „einfach so wie vor 20 Jahren“. Das wird als Spitze gegenüber Friedrich Merz verstanden. Ebenso der Hinweis, die CSU unterstütze nur jemanden, der einen Trennungsstrich zur AfD ziehe („eine existenzielle Frage“).
Es ist das Auftreten eines Kanzlermachers. Die Kandidaten beginnen deshalb, sich stärker nach München zu orientieren. Jens Spahn nahm Kontakt zu Söder auf. In der Berliner CSU hat der emsige Gesundheitsminister viele Freunde. Bei Söder ist er sich da nicht so sicher; der CSU-Chef schätzt zwar Spahns fachliche und PR-Arbeit, traut ihm aber wohl das Kanzleramt (noch) nicht zu. Spahn setzt sein Werben mit Terminen im bayerischen Kommunalwahlkampf fort, der ihm herzlich egal sein könnte.
Armin Laschet hielt schon länger Kontakt, heißt es in beiden Lagern. Der NRW-Ministerpräsident gibt derzeit kein Statement ab, in dem er nicht die Rolle der CSU wertschätzt. Auch Laschet kommt in den nächsten Wochen zu Terminen nach München. Seine Leute betonen, wie gut sich seit Ende 2018 das Verhältnis entwickelt habe. Der CSU galt der Merkel-Mann lange als zu weich, inzwischen verweist man aber darauf, dass er in NRW eine rigide Innenpolitik praktiziere.
Auch Merz sucht, nach einigem Zögern, jetzt Söders Ohr. Erst, so hört man, legten Emissäre in der CSU-Spitze freundliche Worte ein: Roland Koch, der Hesse, und Edmund Stoiber. Tenor: Man müsse in der nahenden Krise mehr über Wirtschaft reden, binnen zwei Monaten könne sich die Debatte im Bund komplett drehen – da sei Merz doch der Beste. Mitte der Woche soll der Sauerländer dann selbst Kontakt zu Söder gesucht haben.
Doch: Wen oder was will Söder? Teil der Strategie, den CDU-Vorsitz früh und die Kanzlerkandidatur spät zu entscheiden, ist, sich selbst eine Hintertür offen zu halten. Eigentlich käme ein Ruf nach Berlin zu früh. Söder wird Interesse für 2025 nachgesagt. Dann wäre er in Bayern im achten Amtsjahr, die Saat seiner Hightech-Offensive könnte schon blühen. Andererseits: Bietet sich die Chance auf eine Kanzlerkandidatur für einen CSU-Mann echt zweimal? Kann es sich Söder leisten, jetzt Nein zu sagen?
Es heißt, nicht mal Söders Vertraute seien sich da einig. „In Bayern ist mein Standort und mein Anker“, sagt er stets. Das klingt kokett, ist aber vorsichtig. Die Lehre aus dem CSU-Machtkampf 2018 ist kurioserweise: So risikofreudig, wie man glaubt, ist Söder gar nicht. Er wägt bis zum letzten Moment ab, ehe er öffentlich eine Kandidatur erklärt, springt nur, wenn er den Landeplatz genau sieht. Den CSU-Vorsitz lehnte er zunächst sogar ab, dem Berliner Politikbetrieb näherte er sich mit Vorsicht. Inzwischen ist das Selbstbewusstsein da deutlich ausgeprägter.
Doch Sicherheit gibt es derzeit keine: In den Umfragen droht die Union hinter die Grünen zu rutschen. Dann könnte die Union einen Vizekanzler stellen oder ginge in die Opposition zu Grün-Rot-Rot. Viertelprozente können darüber entscheiden. Wenn für Söder das Risiko besteht, als erster Politiker in der Geschichte die Bundestagswahl gegen einen Grünen, zum Beispiel Sonnyboy Robert Habeck, zu verlieren, wird Söder die Kandidatur liebend gern anderen überlassen.
Ohnehin: Habeck! Söder beobachtet den grünen Liebling mit einer Mischung aus Bewunderung und Verachtung. Er findet ihn politisch zu vage, neidet ihm aber den Coolness-Faktor. Vergangenes Jahr versuchte er zum Aschermittwoch sogar eine Kopie des Dreitagebartes – stellte das Experiment angesichts wenig charmanter Reaktionen aber wieder ein. Nur bei der Kleidung hält er den legeren Auftritt bei – die Krawatte ist heute eher Ausnahme als die Regel.
In der CDU ändert sich das Ansehen Söders wellenartig. Erst galt er als Hallodri, nach einem fulminanten Auftritt beim Parteitag in Leipzig mutierte er zum Hoffnungsträger. Zuletzt hört man eine gewisse Gereiztheit über zu viel bayerisches Selbstbewusstsein. „Wenn Söder nach der Kanzlerschaft greifen will, dann soll er es bitteschön jetzt erklären und uns keine Hängepartie bis ins nächste Jahr zumuten“, schimpfte Christian Baldauf, CDU-Fraktionschef in Rheinland-Pfalz. Und CDU-Vize Thomas Strobl verbat sich „gut gemeinte Hinweise“ von der Isar. „Wir in der CDU trödeln nicht rum – wir lassen uns aber auch von niemandem treiben.“
Wird es nun Friedrich? Oder Jens? Der Videoautomat verrät keine Präferenz. Alle relevanten Namen – Friedrich, Jens, Armin, Annegret und sogar Angela – hat Söder eingesprochen. Auch Markus.