75 Jahre danach: Überlebende erinnern sich

von Redaktion

München – Fast drei Jahre lang war sie Lotte Hummel, uneheliche Tochter einer Hausangestellten, die auf einem Bauernhof in Mittelfranken aufwächst. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bekommt die damals 12-Jährige ihre Identität zurück: Sie ist Tochter des jüdischen Rechtsanwalts Fritz Neuland und heute bekannt als Charlotte Knobloch. „Ich war so glücklich, dass ich jetzt endlich sagen konnte, wer ich eigentlich bin“, erinnert sich die heute 87-Jährige an den Tag, als die US-Amerikaner das Dorf Arberg befreiten und den Kindern Bonbons zuwarfen.

Knobloch hatte Glück und entging durch ihre Flucht nach Arberg den Nazi-Schergen. Nach dem Krieg blieb sie in München und ist seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern.

Juden und andere Verfolgte des Terrorregimes gingen durch die Hölle. Der Krakauer Ben Lesser war im KZ Buchenwald und sollte im Frühling 1945 mit einem Güterzug nach Dachau gekarrt werden. Eine wochenlange Odyssee, eingepfercht und mit entsetzlichem Hunger und Durst. „Wir schienen auf einem stinkenden See des Todes zu schwimmen“, notierte er in seinen Memoiren. Es war der stechende Geruch, der US-Soldaten auf den Todeszug aufmerksam machte, als sie sich am 29. April 1945 dem KZ Dachau näherten, um es zu befreien. Die Ursache fanden sie bald: Zugwaggons voller lebloser Körper.

Als Lesser von den Soldaten gerettet wurde, war der damals 16-Jährige bis auf die Knochen abgemagert. Während andere Häftlinge jubelten, waren er und andere dafür zu schwach. „Die dünnen, toten Skelette, das waren die Juden.“ Menschen, die alles verloren hatten, Familie, Freunde, ihr Zuhause. „Es gab niemanden, der darauf wartete, uns endlich in die Arme schließen zu können.“

Auch Ernst Grube, Präsident der Lagergemeinschaft Dachau und Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, hat schlimme Erinnerungen. Er war zwölf Jahre alt, als er im Ghetto Theresienstadt von den Russen befreit wurde. Die Rotarmisten seien auf Lastwagen gekommen. „Ich bin auf so einen Wagen gesprungen und habe einen von ihnen umarmt. Es war ein Miteinander, es war der Moment der Begegnung.“ Ende Juni 1945 war Grube wieder in München, wo ihn sein Vater glücklich in die Arme schloss.

Zum Jahrestag der KZ-Befreiung von Dachau reisen sonst ehemalige Häftlinge und US-Soldaten als Befreier an. Wegen der Corona-Pandemie wurde die am 3. Mai geplante Gedenkfeier aber abgesagt. Nur die Staatsregierung wird schon am heutigen Mittwoch einen Kranz niederlegen. C. DIECKMANN & S. DOBEL

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