Wenn Schüler und Eltern ausrasten

Laut einer neuen Studie nimmt die Aggressivität zu: „Das ist eine Einladung, der Lehrerin der 3c mal zu sagen, wo der Bartl den Most holt“

München/Berlin – Efthymios Vlahos ist Schulleiter an einer Grund- und Werkrealschule in Remchingen, zwischen Karlsruhe und Pforzheim. Er hat selbst Gewalt erlebt: Ein betrunkener Zehntklässler bedrohte und verfolgte den 35-Jährigen vor einigen Jahren, nachdem Vlahos ihn gebeten hatte, das Schulgelände zu verlassen. „Ihm sind die Sicherungen durchgebrannt, mit einer Wodka-Flasche wollte er auf mich los“, erinnert er sich. Im Endeffekt ließ der Schüler von dem Rektor ab. Da der Zehntklässler vor dem Abschluss stand, habe er nur noch das Zeugnis zugeschickt bekommen. Beide haben sich nie wieder gesehen.

Es ist nur ein Einzelfall, aber dahinter steckt eine gefährliche Entwicklung. Nach Einschätzung von vielen Schulleitern in Deutschland nimmt die Zahl körperlicher Angriffe und Beleidigungen gegen Lehrer zu, auch in Bayern. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Landesverbands Bildung und Erziehung, die vor den Corona-Einschränkungen erhoben wurde. Jede dritte Schulleitung (34 Prozent) in Deutschland gab demnach an, dass es in den vergangenen fünf Jahren an ihrer Einrichtung zu Fällen kam, in denen Lehrer körperlich angegriffen wurden. Bei der gleichen Befragung 2018 sagten noch 26 Prozent der Schulleiter, es habe solche Fälle in den vergangenen fünf Jahren gegeben. Die Konfrontation habe ihn gelehrt, in manchen Situation besser aufzupassen, sagt Vlahos.

Deutlich mehr Schulen berichteten im Vergleich zu 2018 auch von Beschimpfungen, Drohungen, Beleidigungen, Belästigungen oder Mobbing gegen Lehrkräfte. 61 Prozent gaben an, es habe in den vergangenen Jahren entsprechende Fälle gegeben.

Kritik an der Methodik der Studie äußerte der Deutsche Lehrerverband, weil dabei die Ergebnisse zweier Umfragen verglichen werden, die im Abstand von zwei Jahren gemacht wurden – bei denen aber jeweils nach Vorfällen in den vergangenen fünf Jahren gefragt wurde. Dennoch stellte sich der Lehrerverband gestern hinter die Aussagen: „Grundsätzlich kann aufgrund der von unseren Mitgliedern eingegangenen Rückmeldungen das Ergebnis der Umfrage bestätigt werden, dass die meist verbale, nicht selten auch körperliche Aggressivität gegen Lehrkräfte von Seiten von Schülern und Eltern zugenommen hat“, sagte Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger.

Simone Fleischmann ist Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands. Sie sieht noch ein anderes Problem. „Es geht bei dieser Diskussion nicht nur darum, dass Lehrer mal von einem Schüler ans Bein gekickt oder beim Elternabend von Eltern angebrüllt werden. Sondern es hat auch damit zu tun, wie die Gesellschaft in Gänze mit Lehrerinnen und Lehrern umgeht. Wenn ein Herr Merz, der sich anschickt, Kanzlerkandidat zu werden, öffentlich sagt, dass sich viele Lehrer ohne triftigen Grund einfach krankschreiben lassen und wegen der vagen Angst vor Corona nicht mehr zum Schulunterricht erscheinen, dann ist das eine Frechheit.“

Friedrich Merz (CDU) sagte zuletzt, dass einfach zu viele Lehrer zu Hause blieben. „Das ist eine Geringschätzung von Lehrern“, sagt Fleischmann. „Es ist gemein, ihnen so etwas zu unterstellen.“ Wenn ein hochrangiger Politiker in Deutschland so was tut, dann sei es für eine wütende Mutter einer Grundschülerin irgendwo in Bayern, „geradezu eine Einladung, der Lehrerin der 3c mal zu sagen, wo der Bartl den Most holt“.

Für sie hängt das Eine, Gewalt an der Schule, untrennbar damit zusammen, wie Lehrer in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. „Ein hochrangiger Politiker darf sich nicht so respektlos gegenüber Lehrern äußern, zumal es gar nicht stimmt, was Merz sagt. In Bayern sind aktuell gerade mal 0,9 Prozent der Lehrer mit Attest freigestellt.“  sts/dpa

Montag, 4. Dezember 2023
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