Die neuen Regeln – und was die Betroffenen sagen

von Redaktion

Am Sonntag, 0 Uhr, schaltet die Krankenhausampel auf Gelb – und verändert vor allem für Ungeimpfte das Leben

München – Die Infektionszahlen steigen vor allem im südöstlichen Oberbayern weiter rasant, die Intensivstationen laufen vielerorts voll. Die Zeit der grünen Ampel ist damit vorbei (siehe Kasten). Die Zahlen zeigen, dass die vierte Welle vor allem eine Welle der Ungeimpften ist. Nach Angaben des Bayerischen Landesamts für Gesundheit lag die 7-Tage-Inzidenz bei den Geimpften am Freitag nur bei 60,1 – bei den Ungeimpften hingegen bei 537,1. Ab Sonntag gelten nun in vielen Bereichen des Lebens neue Regeln. Wir haben uns umgehört.

In der Gastronomie

Sophia Mairhofer ist Junior-Chefin des Cafés Winklstüberl in Fischbachau im Kreis Miesbach. Die 7-Tage-Inzidenz liegt bei 716 – Bundesrekord. Die Gastronomin ist besorgt. „Das wird ein sehr ruhiger Winter für uns werden“, sagt sie. Schon seit Längerem kommen immer weniger Gäste in das berühmte Café. Durch die verschärften Regeln befürchtet Mairhofer, dass noch mehr Menschen dem Café fernbleiben. „Es ist sehr schade, dass die Schnelltests abgeschafft wurden“, sagt die 26-Jährige. Viele Gäste hätten das Angebot genutzt. Schnelltests würden völlig reichen. „Die PCR-Tests sind sehr teuer, das ist schon eine harte Nummer.“ Das spontan umzusetzen, sei viel Arbeit.

Wirt Stefan Spitzer aus Osterwaaler im Kreis Freising ist der Staatsregierung mit der 3Gplus-Regel schon zuvorgekommen. Seit Anfang der Woche brauchen seine Gäste, die weder geimpft noch genesen sind, einen negativen PCR-Test. Zum einen, weil Spitzer das Testangebot vor Ort wegen Personalmangels einstellen musste. Zum anderen aus Verantwortung seinen Mitarbeitern gegenüber. Sicherlich habe der Schritt zu 3Gplus das Gasthaus einige Stammgäste gekostet, sagt Spitzers Büro-Leiterin Gabi Weber. Doch die Zustimmung habe bei Weitem überwogen. „Es gab sogar Anerkennung von anderen Wirten, die sagten: Gut gemacht, aber wir hätten uns selbst nicht getraut.“

Im Büro

Ab Sonntag soll die 3G-Regel in Corona-Hotspots (siehe Kasten) auch am Arbeitsplatz gelten. Von der neuen Regelung wird auch das Pharmaunternehmen Hexal betroffen sein, dessen Zentrale in Holzkirchen im Kreis Miesbach liegt. Matthias Weber, Vorstand für Finanzen und Verwaltung der Hexal AG, begrüßt die Regel. Sie erhöhe die Sicherheit der Mitarbeiter. Infektionsschutz sei Teil der gesetzlichen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers: „Dafür sind wir zuständig.“

Vorbereitet sei man gut. „Intern arbeiten wir mit einem eigenen Stufenplan-Modell, das sich unter anderem an Fallzahlen und an der Krankenhausampel orientiert“, sagt Jens-Dieter Heins, zuständig für Arbeitssicherheit. Schon jetzt nutze man 3G auf Vertrauensbasis, allerdings fehle bislang noch das Recht für Arbeitgeber, dies tatsächlich zu kontrollieren. Vorstand Weber geht davon aus, dass ein Großteil der Mitarbeiter ohnehin geimpft ist. Das liege auch an der Branche, in der Hexal tätig ist. „Das Verständnis für eine Impfung ist dadurch bei den meisten Mitarbeitern da.“

Auf Impfskepsis stößt hingegen ein Münchner Recyclingunternehmer, der anonym bleiben will, bei seinen Mitarbeitern. Ein Großteil seines Personals sei aus dem Ausland und nicht geimpft. Dies führe ohnehin schon zu Problemen. Nun auch noch 3G. „Ich ärgere mich, dass die Politik uns Unternehmern die Verantwortung aufbürdet.“

Im Altenheim

Ilona Brunner sitzt im Auge des Sturms. Das Heilig-Geist-Spital der Caritas, das sie leitet, liegt in Mühldorf am Inn. Am Freitag lag die 7-Tage-Inzidenz im Landkreis bei 696. Der Sturm hat das Altenheim nicht verschont. Das Virus ist zurück und es gibt Todesfälle.

Im Sommer war das Heim Corona-frei, jetzt sind 17 der 110 Pflegekräfte erkrankt und elf Bewohner nach einem positiven Test in ihren Zimmern isoliert. Drei weitere Heilig-Geist-Senioren sind im Krankenhaus gestorben. Zwei seien zwar geimpft, aber insgesamt schon sehr schwach gewesen, sagt Brunner.

Der Ausbruch, berichtet die Heimleiterin, sei „schlagartig mit den hohen Inzidenzen gekommen“. 113 Plätze hat das Heim, verteilt auf drei Wohnbereiche. Zwei sind bisher betroffen, nun womöglich auch der letzte. Eine geimpfte Pflegerin des Bereichs ist positiv auf Corona getestet worden. Ob sie Bewohner angesteckt hat, ist noch unklar.

Infektionen gibt es laut Brunner bei ungeimpften, aber auch geimpften Bewohnern und Pflegekräften. Der Unterschied: „Die dreifach Geimpften sind gar nicht erkrankt, die zweifach Geimpften nur leicht – wenn sie keine Vorerkrankungen haben.“

Mit dem Virus ist auch der Notstand zurück. Bewohner dürfen sich nicht mehr über Etagen hinweg besuchen, es gibt keine Gottesdienste, keine Angebote, keine Tagespflege mehr, Erkrankte werden von Menschen in Schutzkleidung gepflegt. Auch die Angst ist wieder da. Es gebe gesunde Senioren in Selbstisolation, berichtet Brunner. „Manche sind sehr frustriert – manche sagen aber auch: Wir schaffen das. Das ist oft die Nachkriegsgeneration, die schon viel mitgemacht hat.“

Die Impfquote der Bewohner liegt laut Brunner bei 90 Prozent, bei den Pflegern sind es 83 Prozent. Wie das Virus wieder ins Heim kam, lässt sich schwer sagen. Besucher, Pfleger, Bewohner, die außer Haus waren. Wahrscheinlich eine Mischung. Brunner vermutet, dass sich viele bei ihren Kindern oder Enkeln angesteckt haben. „Es war ein Fehler von der Politik, die Clubs im Herbst zu öffnen.“

Ab sofort wird jeder Besucher am Eingang auf 3G geprüft. Im Sommer, sagt Brunner, habe man nur tageweise kontrolliert. Wie die Gesundheitsministerkonferenz am Freitag beschloss, reicht für Besucher ein Schnelltest.

Brunner ist strikt dagegen, die Heime wieder zu schließen. „Ich befürchte aber, dass die Politik, wenn die Lage sich weiter verschärft, auf die Idee kommt.“ Besser sei es, wieder kostenlose Tests anzubieten – und zu boostern. 60 Bewohner hätten schon eine Drittimpfung. Am Montag ist der nächste Impftermin im Haus.

Auf der Intensivstation

Diese Woche hat Dr. Thomas Felbinger zwei ungewöhnliche Notrufe erhalten. „Anrufe von Chefärzten aus dem Münchner Süden. Sie haben gefragt, ob ich noch ein Beatmungsbett frei habe“, erzählt der Intensivmediziner, der in der München Klinik Neuperlach für die Covid-Intensivpatienten zuständig ist. „Ich habe ihnen geraten, gleich außerhalb Bayerns in den Norden zu verlegen, wo die Situation noch entspannter ist.“

Felbinger ist nicht unkollegial, er ist verzweifelt. Auch auf seinen Stationen ist die Lage ernst. Neuperlach hat aktuell acht mit Personal betreibbare Beatmungsbetten für Covid-Patienten. Alle sind belegt. Auch die für Non-Covid-Patienten sind voll belegt.

„Wir haben auf unseren Intensivstationen fast ausschließlich bei Ungeimpften schwere Verläufe“, sagt Felbinger. Und die Patienten werden jünger. Derzeit seien sie zwischen 35 und 55 Jahre alt. Auch das verschärft das Problem. Junge Menschen kämpfen länger gegen das Sterben, die Betten sind länger belegt. Zwei Covid-Patienten, sagt Felbinger, sind bereits seit zwei Monaten an eine künstliche Lunge angeschlossen.

Felbinger berichtet von weinenden Patienten, deren Operationen verschoben werden, von erschöpften Pflegekräften – und von wütenden, wenn Ungeimpfte, kurz bevor sie ins künstliche Koma versetzt werden müssen, weiter behaupten, sie hätten nur einen Schnupfen. „Das sind Momente der Frustration, die wir aushalten müssen.“

Weitere Kapazitäten zu schaffen, sei schwer, sagt Felbinger. Es fehle am Personal. „Die Leute sind ausgepowert, wir haben einen hohen Krankenstand, hohe Kündigungsraten und Mitarbeiter, die aufgrund der hohen Belastung die Arbeitszeit reduziert haben.“ Die Folgen lassen sich messen: In der ersten Welle hatte Neuperlach 19 (voll belegte) Beatmungsbetten für Covid-Patienten, jetzt sind es noch acht. Mehr sei nur möglich, wenn man OP-Säle schließe und Personal verschiebe, sagt Felbinger. Dennoch: „Ein Viertel bis ein Drittel der Intensivbetten in Deutschland sind gar nicht mehr belegbar, weil Personal fehlt.“

Dass etwas passieren muss, ist für Felbinger klar. Man könne Patienten in andere Bundesländer verlegen, Privatkliniken zu Corona-Betten verpflichten, die Bundeswehr einsetzen. „Die Extremsituation wäre die Notwendigkeit einer Triage“, warnt er. Felbinger sieht die Politik in der Pflicht, zu reagieren – wenn nötig mit neuen Kontaktbeschränkungen. „Auch wenn die meisten Kinder nur Schnupfen oder Husten bekommen, stecken sie doch ältere Menschen mit Vorerkrankungen an. Die Entwicklung der Zahlen zeigt, dass das aktuelle Konzept nicht aufgeht.“

Im Nahverkehr

Zug-Pendler konnten diese Woche abstruse Szenen beobachten: Als die Bayerische Regiobahn (BRB) die erste Haltestelle im Kreis München anfuhr, wechselten einige Passagiere von einer FFP2- auf eine medizinische Maske. Regelkonform, immerhin galt dort bisher keine FFP2-Pflicht. In den Hotspot-Landkreisen im Südosten seit 1. November aber schon. „Schaltet die Ampel am Samstag auf Gelb, herrscht in Zügen und an Bahnhöfen ab Sonntag wieder bayernweit FFP2-Pflicht“, sagt eine BRB-Sprecherin. Das erleichtere die Kontrolle. „Auch Fahrgäste verstehen so besser, was gilt.“ Online, über Bildschirme und Durchsagen will die BRB Fahrgäste über die Änderung informieren. So auch die Münchner Verkehrsgesellschaft, wo dann auch FFP2 gilt. Viele seien ohnehin schon wieder auf FFP2 umgestiegen, sagt ein Sprecher. Den Eindruck bestätigt auch die Bahn. Unter anderem war die S3 von Mammendorf nach Holzkirchen von dem Masken-Durcheinander betroffen.  wha, vm, hob, sco, hgy

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