München – Nicht der Rinderfurz macht dem Weltklima zu schaffen. Es sind die Rülpser der Milchkühe und Mastrinder, die für dicke Luft sorgen. Denn das, was den Rindern beim Wiederkäuen aus dem Maul entfleucht, ist Methan. Und dieses Gas ist 25-mal schädlicher als das viel gescholtene Kohlendioxid CO2, weil es mehr Energie und Wärme bindet – und somit auch einen erheblichen Anteil an der Klimaerwärmung hat.
Dass die Rinder in der Klimadebatte so in den Mittelpunkt gerückt sind, macht vielen Landwirten zu schaffen. Die in Diskussionen dann oft geforderte Reduzierung der Tierbestände bedroht ihre wirtschaftliche Existenz. Mitunter treibt die Debatte kuriose Blüten, etwa, wenn der Umweltbundesamt-Chef Dirk Messner eine „Furz-Steuer“ für Kühe fordert (wir berichteten).
Maik Kindermann kann eine solche Debatte nur recht sein. Denn der Biochemiker hat einen Futtermittelzusatz erfunden, der nach seinen Angaben die Methanproduktion der Milchkühe um 30 Prozent, bei den Mastrindern sogar um bis zu 45 Prozent reduziert. „Bovaer“ heißt das Mittel, das der Innovationsmanager des niederländischen Chemieriesen DSM – einem Hersteller von Inhaltsstoffen für Nahrungsmittel und Gesundheitsprodukten – entwickelt hat. Der gebürtige Freiburger hat dreizehn Jahre an dem Mittel geforscht, das in diesem Jahr von der EU zugelassen wurde.
„Der Arbeitstitel des Projekts hieß ,clean cow‘, saubere Kuh“, erzählt Maik Kindermann. Die Aufgabe war, den Methan-Anteil in den Rülpsern zu reduzieren. „Es ist nicht die Kuh, die Methan produziert“, erklärt der Wissenschaftler, „sondern die Mikroorganismen im Kuhmagen.“ Diese Mikroorganismen, die beim Wiederkäuen helfen, nimmt die Kuh in den ersten drei Monaten ihres Lebens auf. Sie bilden ein komplexes System im Kuhmagen. „Ein Ergebnis dieses Systems ist die Methanproduktion.“ Kindermanns Interesse richtete sich also nicht auf die Kuh, sondern auf jene Mikroorganismen. Alle biologischen Prozesse im Menschen wie auch in der Kuh werden von einer Abfolge enzymatischer Reaktionen gesteuert, macht Kindermann klar.
Methan wird in sieben Stufen im Kuh-Magen produziert – der Biochemiker und sein Team haben sich speziell die letzte Stufe vorgeknöpft. Das sei ein so spezieller Schritt, der nirgendwo anders in der Kuh vorkomme. „Wenn wir hier eingreifen, dann schließen wir Nebenwirkungen für die Kuh aus.“ So hatten er und seine Kollegen sich das überlegt und zu Papier gebracht – „und so haben wir es auch bewiesen“, sagt er stolz.
Zwischen einem und 1,5 Gramm von „Bovaer“ pro Tag ins Futter gemischt, so belegten Studien, und der Wiederkäuer rülpst methanarm. Das entspricht etwa einem Viertel Teelöffel des Pulvers, das aus einem natürlichen Salpeter-Mineral und natürlichem Alkohol besteht, wie er aus der Pflanzenfermentierung gewonnen wird. Die Biochemiker kombinierten die beiden Stoffe, formten ein Molekül. „Durch die Reduzierung des Methans und den Wirkmechanismus wird das Molekül wieder in die Anfangsbestandteile gespalten, die ohnehin in der Kuh enthalten sind.“
Das Pulver wirkt nach Angaben des Wissenschaftlers enorm schnell: „Innerhalb von 30 Minuten ist die Methanproduktion heruntergefahren und sie bleibt so lange unten, wie ,Bovaer‘ verfüttert wird.“ Nebenwirkungen bei den Tieren gebe es keine. In Kanada seien Langzeitstudien mit 15 000 Mastrindern betrieben worden. „Wir hatten keinen einzigen Fall, in dem irgendwelche negativen Aspekte aufgekommen sind“, sagt Kindermann. Sie hätten auch mit Mitarbeitern gesprochen, die täglich mit den Tieren arbeiten: „Kein Einziger hat Veränderungen im Verhalten der Tiere, beim Fressen oder beim Sozialverhalten bemerkt.“ Ändert sich etwas an den Produkten? Kindermann schüttelt den Kopf: Es gebe keine Veränderungen im Geschmack. „Ich habe Joghurt und Käse bei unseren Versuchen in Frankreich probiert und analysiert.“ Nur die Protein- und Fettsäurezusammensetzung habe sich minimal verändert – „aber niemals ins Negative“.
So viel zu den biochemischen Zusammenhängen. Für die Landwirte zählt aber am Ende des Tages vor allem: Was kostet ihn die methan-reduzierte Kuh? Die Wissenschaftler halten sich noch bedeckt mit genauen Zahlen. „Bovaer“ wird zwar bereits hergestellt, ist aber in Deutschland noch nicht in den Regalen der Futtermittelhersteller vorrätig. „Interessierte Bauern müssen sich bei ihrem Futtermittelhersteller erkundigen“, rät Kindermann. Bis Ende des Jahres will man zusammen mit interessierten Molkereien einzelne Bauernhöfe gefunden haben, auf denen „Bovaer“ eingesetzt werden kann. Grundsätzlich rechnen die Entwickler damit, dass ihr Mittel mit einem Cent pro Liter Milch zu Buche schlägt. Geld, das nicht auf Kosten des Landwirts gehe, glaubt Kindermann.
Seine These: „Man muss sich fragen, wer ein Interesse an der Reduktion von Treibhausgasen hat? Das ist die Gesellschaft!“ DSM hat Verbraucher-Umfragen gemacht, nach denen diese freilich angaben, für eine Methan-Reduzierung etwas mehr zu zahlen. Ja, kennt man, diese Umfragen. Das Kaufverhalten ist – sicherlich auch angesichts drastisch steigender Preise – dann aber doch ein anderes. Das weiß auch Kindermann. Aber er sieht ebenso, dass die Milchindustrie ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen will.
Nicht nur die Milchindustrie – auch die Regierungen haben sich den Kampf gegen den Klimawandel auf die Fahnen geschrieben. In Belgien, so berichtet DSM-Sprecher Patrick Weiss, will die Regierung den Einsatz von Futtermitteln, die die Methanproduktion reduzieren, fördern. In Deutschland beginnen die Gespräche erst. Beamte im bayerischen Agrarministerium arbeiteten bereits an einem Klimaabdruck der bayerischen Milch.
Dazu passt die Rechnung, die Maik Kindermann aufmacht: Beim ökologischen Fußabdruck für einen Liter Milch entfielen 50 Prozent auf die Methanproduktion der Kuh. Die andere Hälfte setze sich etwa aus Strom und Kraftstoff für Traktoren zusammen. Wenn man das Methan um 30 Prozent reduziere, sei das ein enormer Beitrag. Und: Die Anpassung der Fütterung geht von heute auf morgen. „Die Verringerung der Methanemissionen ist der schnellste Weg, um die globale Erwärmung zu verlangsamen, da Methan viel mehr Wärme speichert als CO2.“ Und was sagt die Kuh dazu? Sie rülpst. Künftig vielleicht ein bisschen klimafreundlicher.