Putin gegen den Westen – auch in Afrika

von Redaktion

VON REBECCA HABTEMARIAM

München – Im Juli ging Russlands Außenminister Sergej Lawrow auf Mini-Afrika-Tour. Er machte Werbung für den 2023 geplanten Russland-Afrika-Gipfel in St. Petersburg – und hatte eine Botschaft im Gepäck: Russland ist Afrikas Retter. Lawrow versprach „afrikanische Lösungen für afrikanische Probleme“ und betonte: Mit blutigem Kolonialismus habe sein Land im Gegensatz zum Westen nichts zu tun.

US-Außenminister Antony Blinken antwortete wenige Tage später in Südafrika: Auch die USA planen einen Afrika-Gipfel. Er findet im Dezember statt – das erste Mal seit acht Jahren. Blinken versprach eine „wahre Partnerschaft“ auf Augenhöhe. Wird Afrika zum neuen Spielfeld im Kampf der Großmächte? Blinken verneint das – der Blick zurück zeigt aber: Die Großmächte zogen auf dem Kontinent schon immer ihre Fäden. Nur ist Afrika heute noch wichtiger geworden.

Die 1960er-Jahre waren für Afrika das Jahrzehnt der Dekolonialisierung. Die meisten Staaten feierten ihre Unabhängigkeit, die Kolonialmächte zogen ab. Das entstehende Machtvakuum nutzten die damalige Sowjetunion und die USA, um ihren Einfluss in Afrika auszuweiten. Dabei ging es nicht nur um politische Ideologien, sondern auch um die vielen begehrten Bodenschätze.

Um ihre Ziele zu erreichen, führten die USA und Russland in den oft von Bürgerkriegen gebeutelten Staaten Stellvertreterkriege, in denen beide die jeweils andere Seite unterstützten, etwa in Angola oder im Kongo. Experten befürchten, Afrika drifte nun in eine ähnliche Situation, zumal der Kontinent keine einheitliche Haltung gegenüber den Großmächten hat.

Zuletzt wurde das bei der UN-Abstimmung im März sichtbar. Nur 28 der 54 afrikanischen Staaten stimmten dafür, den russischen Angriff auf die Ukraine zu verurteilen. Die restlichen Staaten enthielten sich oder waren bei der Abstimmung gar nicht anwesend. Auch China, die dritte Großmacht auf dem Kontinent, soll die Abstimmung beeinflusst haben.

Zwar unterstützte nur Eritrea offen Putin, trotzdem genießt Russland in Teilen Afrikas Sympathien. „Russlands Einfluss ist in den letzten Jahren größer geworden. Es hat erkannt, dass Afrika eine große Staatengruppe ist, die auf der internationalen Ebene Gewicht hat. Deshalb wird auch angesichts des Ukraine-Kriegs stark um Unterstützung geworben“, sagt Christian von Soest, Experte am GIGA-Institut für Afrika-Studien in Hamburg. „Russland hat auch gesehen, dass viele afrikanische Regierungen unzufrieden sind – mit Europa, den USA, der Weltordnung. Das versucht Russland für sich zu nutzen.“ Vor allem in Mali und der Zentralafrikanischen Republik hat Russland Erfolg.

Moskaus Fokus liegt auf Rohstoffen, Waffenlieferungen – und privaten Armeen. Russland ist aktuell der größte Waffenlieferant. Zwischen 2017 und 2021 kauften afrikanische Staaten 44 Prozent ihrer Waffen in Russland. Auch das Söldnertum expandiert. Das „Zentrum für Strategie und Internationale Studien“, eine Denkfabrik in Washington, identifizierte zwischen 2016 und 2021 in 16 der 55 afrikanischen Staaten russische Privatarmeen.

Die bekannteste von ihnen ist die „Gruppe Wagner“, die als erweiterter militärischer Arm Putins gilt. Sie unterstützt überwiegend autoritäre Regime, um Russlands Politik durchzusetzen. Und wenn nötig, wechselt man auch schnell die Seiten.

Zum Beispiel im Sudan: Erst stand Russland auf der Seite des Machthabers Omar al-Bashir. Als das Militär ihn 2019 dennoch stürzte, unterstützten Russlands Söldner plötzlich die neue Militärregierung und sicherten so den Zugang zum Roten Meer – ein wichtiger Schiffsweg in die arabische Welt.

Auch in Mali mischten die Wagner-Söldner mit, machten im Volk Stimmung. Der im Land verhasste Kolonialherr Frankreich musste auf Druck der Militärregierung seine Truppen abziehen. Auch wenn Russlands Einfluss nicht maßgeblich für die anti-französische Stimmung in Mali war, dankten einige Malier beim Truppenabzug am Straßenrand mit einem „Merci Wagner“-Transparent.

In der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) unterstützten Wagner-Kämpfer den von diversen Rebellengruppen bedrängten Präsidenten Touadéra. „Russland war ein willkommener Partner für die Regierung“, sagt von Soest. Die Wagner-Gruppe sei brutal und mache „Arbeit, zu der andere nicht bereit sind“. Und sie sichert den Zugang zu Ressourcen. Im Gegenzug für die Hilfe erhält Moskau Öl, Gold, Mineralien – und diplomatische Unterstützung. Vor allem auf der Bühne der Vereinten Nationen (UN) ist das von Vorteil, da Afrika dort ein Viertel der Stimmen hat. Auch wenn der Kreml sich offiziell von der „Gruppe Wagner“ distanziert, gehen die Sympathiepunkte auf Russlands Konto: Sie sind Befreier, Beschützer, Retter.

Propaganda gehört ebenfalls zur Strategie. So will der russische Staatssender RT, ehemals „Russia Today“, demnächst in Südafrika sein erstes Afrika-Studio eröffnen. „Russland schafft es, durch die Erzählung einer Dominanz der USA Unbehagen zu verbreiten“, sagt von Soest. „Sie sprechen vom Kampf gegen den Westen und den Imperialismus. Das kommt bei einigen Regierungen gut an.“

Die Kolonialzeit, in der westliche Länder afrikanische Staaten oft gewaltsam ausbeuteten, ist noch präsent. Die Sowjetunion war daran nicht beteiligt – aber sehr wohl eine Kolonialmacht. Während europäische Länder nach Übersee griffen, konzentrierte sich Russland auf Binnenkolonialismus. Das Zarentum und das Kaiserreich dehnten sich in angrenzende Gebiete in Nord- und Zentralasien aus, verleibte sich die Gebiete ein, besiedelte sie und vertrieb teilweise die indigene Bevölkerung. Lenin nannte Russland die zweitgrößte Kolonialmacht hinter England. So entstand die Sowjetunion, deren Zerfall letztlich ein Ende des russischen Kolonialismus war.

Während des „Kalten Kriegs“ unterstützte die Sowjetunion viele afrikanische Staaten und stärkte so ihren Einfluss in ehemaligen sozialistischen Brüderstaaten wie Angola, Mosambik, Somalia, Äthiopien und Ägypten. Das kommt Russland heute zugute. Im Gegensatz dazu die USA. „Ihre Einsätze im Irak oder in Libyen wurden von zahlreichen afrikanischen Staaten als völkerrechtswidrig gesehen“, sagt von Soest. „Auch die Sanktionen gegen afrikanische Staaten kommen nicht gut an.“

Die Trump-Jahre beschädigten das Verhältnis weiter. So bezeichnete Trump Afrika einmal als „ Drecksloch-Staaten“. Auch der Tod des schwarzen US-Amerikaners George Floyd unter dem Knie eines weißen Polizisten und die resultierende „Black Lives Matter“-Debatte trübte das USA-Bild in Afrika. Dass der Westen weder ausreichend Corona-Impfstoffe lieferte noch die Patente freigab, nannte der Äthiopier Tedros Adhanom Ghebreyesus, Chef der Weltgesundheitsorganisation, „Impf-Apartheid“.

Trotzdem stehen wichtige Partner wie Kenia, Botswana, Senegal oder Nigeria, das bevölkerungsreichste Land Afrikas, weiter an der Seite der USA. Mit dem neuen „Afrika-Strategieplan“ will Präsident Joe Biden das Image reparieren, wobei die Terrorbekämpfung seit den al-Qaida-Anschlägen auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam 1998 ein Fokus ist.

Es ist geheim, wie viele US-Militärstationen es genau in Afrika gibt. Laut einem geleakten Dokument von 2019 sind es 29 Stützpunkte in 15 Ländern. Die USA sind militärisch mit Abstand die stärkste ausländische Kraft in Afrika. Trotzdem: „Die Aktivitäten Russlands sind ein Weckruf für die USA. Auch China hat seine erste Militärbasis außerhalb Asiens in Dschibuti gebaut, eine weitere kommt bald dazu“, sagt von Soest.

Washington setzt auch auf humanitäre Hilfen und Demokratieförderung, zum Beispiel durch Wahlbeobachtungen. Außerdem soll die ökonomische Zusammenarbeit gestärkt werden: „Die USA wollen stärker in die afrikanische Wirtschaft investieren. An den chinesischen Wirtschaftseinfluss in Afrika wird das trotzdem nicht heranreichen“, sagt von Soest.

China hat aktuell den größten wirtschaftlichen Einfluss: Laut Weltbank exportierte China 2019 Waren im Wert von 45,5 Milliarden US-Dollar, die USA im Wert von 12,4 Milliarden nach Subsahara-Afrika. Russland stand bei lediglich 3,3 Milliarden. „Wirtschaftlich hat Russland nicht viel zu bieten“, sagt von Soest.

Der Afrika-Plan der USA wird insgesamt positiv bewertet – aber er kennt nur zwei Strategien: eine für Nordafrika, eine für Subsahara-Afrika. Zu Nordafrika zählen Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Westsahara und Ägypten, der Rest ist Subsahara mit all seinen Unterschieden. „Man muss sich verschiedene Fragen stellen: Wie sehr ist der Staat demokratisiert? Gibt es gewaltsame Konflikte? Wie abhängig ist das Land von Entwicklungszusammenarbeit? Das ist in Südafrika ganz anders als in Togo“, sagt von Soest.

Südafrika etwa ist der größte afrikanische Wirtschaftspartner der USA, aber wegen Russlands Unterstützung im Kampf gegen die Apartheid auch Moskau-freundlich. Die G7-Länder, so von Soest, unterstützen den Energiewandel in Südafrika weg von der Kohle mit Milliarden, gleichzeitig gebe es die historische Verbindung der politischen Elite Südafrikas zu Russland. Auch mit China wird kooperiert. „Das hat dazu geführt, dass Südafrikas Präsident Ramaphosa erklärt, beim Ukraine-Krieg neutral zu sein.“

Viele Staaten sehen keine Notwendigkeit, sich auf eine Seite zu schlagen. Zwischen Partnern wählen zu können, sei ein Vorteil, sagt von Soest. Je nach Thema mit anderem Ergebnis. „Geht es um Werte, die man gut findet, sind die USA und in Teilen auch Europa vorne.“ China sei ein wichtiger Wirtschaftspartner, chinesisches Geld an weniger Bedingungen gebunden. „Und Russland bietet Waffen und Söldner.“ Daten des Umfrageinstituts „Afrobarometer“ zeigen weiter starke Sympathien für die USA. Das gilt inzwischen aber auch für China. Russlands Einfluss in der Bevölkerung ist hingegen noch vergleichsweise gering. Aber auch das variiert von Land zu Land.

Die Charme-Offensive der USA ist jedenfalls nicht ganz selbst gewählt. Die Sorge, die Stimmung könnte Richtung Russland kippen und US-Interessen schaden, ist groß. „Die Konkurrenz der Großmächte ist in vielen Teilen Afrikas wieder klar zu spüren“, sagt von Soest. Aber er betont auch: „Die afrikanischen Regierungen als Spielbälle zu betrachten, ist falsch.“ Der politische Einfluss der Regierungen sei „nicht zu unterschätzen“. Das wissen auch Russland, China und die USA.

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