Allerheiligen: Die letzte Ruhe wandelt sich

von Redaktion

Bestattung im Sarg kommt aus der Mode – Trend geht zur Urne und zur naturnahen Beisetzung

VON CLAUDIA MÖLLERS

Bad Tölz – Herzförmig umarmt die Ligusterhecke die 100 Urnenplätze auf dem Waldfriedhof in Bad Tölz. An den Berührungspunkten der Herzbögen leuchten rote Eisbegonien in der Herbstsonne. In die Rasenfläche sind Steinplatten eingelassen. Bronzene Lettern verraten den Namen des Verstorbenen, sein Geburts- und sein Sterbedatum.

Urnen-Ruhegemeinschaft heißt dieses Feld im Amtsdeutsch. Hier werden Menschen bestattet, die kein Erdgrab wünschen, das aufwendig gepflegt werden muss wie jene stattlichen Gräber auf dem historischen Teil des nach den Plänen des bekannten Architekten Gabriel von Seidl 1906 angelegten Waldfriedhofs. Der städtische Friedhof wirkt mit seinem üppigen Baumbewuchs, der prächtigen Aussegnungshalle und den herrschaftlichen Grabstätten in den Arkadengängen wie eine Oase der Ruhe. Ab er die Ruhe unterliegt einem extremen Wandel.

„Anfang 1990 hatten wir noch zu zwei Dritteln Erdbestattungen“, sagt der Kämmerer von Bad Tölz, Hermann Forster (63). Heute würden 70 Prozent der Verstorbenen in Urnen beigesetzt. „Wir hatten in der letzten Zeit fast keine Erdbestattungen mehr. Das fällt wirklich auf“, ergänzt Christine Held (60) von der Friedhofsverwaltung.

Immer individueller sind die Wünsche der Menschen, wie sie bestattet werden wollen. Es geht längst nicht mehr nur um die Frage Erdbestattung im Sarg oder Urnengrab. Friedwälder liegen im Trend, Asche von Menschen wird auf hoher See verstreut, auf Almwiesen in der Schweiz – oder zu Diamanten gepresst.

Auch auf dem Tölzer Waldfriedhof sind Veränderungen sichtbar. Im alten Bereich gibt es noch die traditionellen Grabsteine und kunstvollen Eisenkreuze sowie die prächtigen Familiengräber unter den Arkadenbögen. Doch diese Familiengräber, die für zehn Jahre 3000 Euro kosten, nehme heute kein Mensch mehr, sagt Christine Held. Sie werden aber auch kaum frei, denn das Auflösen ist teuer.

„Wenn die letzten Nutzer das Grab auflösen, müssen sie die Gruft räumen. Dann kommen die Särge raus, die haben Zinkeinlagen. Die müssen als Sondermüll entsorgt werden – das ist ein richtiger Kostenfaktor“, erklärt Held. Die Gebeine der Ahnen kommen in eine Gebeinekiste, die wieder bestattet werden muss. Das ist wie eine neue Beerdigung – wenn es sich um mehrere Särge handelt, kommen enorme Kosten zustande, sagt die Leiterin der städtischen Friedhofsverwaltung. „Den Angehörigen, die vielleicht gar nicht mehr so viel erben, wird ganz schwindlig, wenn man denen sagt, was die da machen müssen.“ Da ist eine Verlängerung für weitere zehn Jahre meist günstiger.

Im neuen Teil des Friedhofs gibt es vorwiegend Urnen-Gräber. Urnen-Nischen in Steinwänden, Urnen, die in der Erde bestattet werden. Ein anonymes Gräberfeld gibt es nicht. Held erinnert sich an eine alte Dame, die in Bad Tölz sozial sehr aktiv war und, weil es keine Angehörigen gab, anonym bestattet werden sollte. „Da haben viele Menschen gesagt: Das darf nicht sein. Damals haben wir unsere erste Urnen-Gemeinschaft geschaffen.“ Ein Erdgrab, in dem mehrere Urnen beigesetzt werden können und auf dem eine große Granitplatte liegt, auf der die Namen der Verstorbenen eingraviert werden – „damit Bekannte wenigstens wissen, dass der Freund hier bestattet ist, da kann ich hergehen und eine Kerze aufstellen“. Aber auch das war der Verwaltung später nicht persönlich genug. Es wurde die Urnen-Ruhegemeinschaft „geschaffen – da weiß man, wo genau jemand liegt und es ist gärtnerisch sehr viel ansprechender angelegt“. Dreimal im Jahr wird hier neu bepflanzt.

Naturnahe Bestattung ist längst auch ein Thema in Bad Tölz. Und zwar nicht nur auf dem neuen Teil des Gottesackers. „Wir haben wunderschöne alte Bäume und haben uns von einem Fachmann zeigen lassen, welche Bäume geeignet sind“, sagt Held. „Das ist das nächste Projekt, das wir anpacken.“ Gerade erst war jemand bei der Friedhofsverwaltung, der sich den nächstgelegenen Friedwald in Dietramszell angeschaut hatte. Der sei zwar wunderschön, aber sie lebten in Bad Tölz und könnten sich nicht vorstellen, woanders bestattet zu werden. „Der Bedarf ist da, und hier bieten sich die Bäume ja dazu an.“

Vier Mitarbeiter kümmern sich um die Pflege des Waldfriedhofs. Er ist einer der wenigen, bei dem die Stadt selber bestattet. Friedhofsgärtner Florian Wagner und sein Team sorgen sich um das Ausheben der Gräber. Gemeinden, die diese Arbeit an Bestatter übergeben haben, haben laut Held gerade große Probleme: Fast alle kündigten die Verträge, weil sie es personell und finanziell nicht mehr stemmen können. Lenggries etwa wisse nicht, wie es im nächsten Jahr die Bestattungen organisieren soll.

Der Waldfriedhof steht unter Denkmalschutz. „Wir legen Wert darauf, dass der Charakter des Friedhofs erhalten bleibt“, sagt Kämmerer Forster. „Und auf den sind wir sehr stolz.“ Die neuen Bestattungsformen werden behutsam integriert. Hier darf nicht jeder seine Glasskulptur oder einen Eiffelturm auf dem Grab aufstellen. Aber: „Wir sind nicht so verbohrt den Traditionen verhaftet, dass man nichts Neues wagt“, sagt Forster. Die Bestattungsformen veränderten sich eben. „Trotzdem darf sich die Gestaltung des Friedhofs dem nicht unterordnen.“

Asche verstreuen, das geht nicht: „Wir haben in Deutschland Bestattungszwang“, sagt Held. Aber es gibt die Fälle, wo Angehörige zur Einäscherung in die Schweiz gehen. Der Rücktransport der Urne nach Deutschland ist illegal. Man verpflichte sich, die Asche in der Schweiz zu bestatten – auf einer dafür vorgesehenen Almwiese oder auf einem See. In Deutschland ist die Aushändigung einer Urne nicht erlaubt. Und doch passiert es. „Das ist ein Geschäftszweig“, weiß Christine Held. „Da wird richtig viel Geld gemacht.“

Mitunter verstehen Angehörige nicht, dass sie ihre Liebsten nicht in der Urne daheim behalten können. Meist handele es sich um Menschen, die mit dem Verlust ihres Partners nicht fertig würden, sagt Held. An einen Fall erinnert sie sich: Die Familie wollte die Urne im Garten beisetzen, doch die Stadt hat das nicht genehmigt. „Das gab heftige Diskussionen.“ Sie vermutet, dass die Familie den Weg über die Schweiz gewählt hat – und die Urne heute im Garten ist.

Auch die Trauerfeiern werden immer individueller. Das beginnt bei der Auswahl der Lieder. Früher gab es drei CDs mit getragener Trauermusik, jetzt schallt auch schon mal Rapper Puff Daddy über den Friedhof. „Das ist mit einem katholischen oder evangelischen Pfarrer aber nicht möglich“, sagt Friedhofsgärtner Wagner. Christine Held könnte sich als „i-Düpferl“ noch ein Café als Treffpunkt in der Nähe vorstellen. „Wo sich Angehörige und Freunde nach der Beisetzung treffen können. Wo Trauerbewältigung möglich ist.“ Und das Leben wieder weitergeht.

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