„Nur auf E-Autos zu setzen, wäre blauäugig“

von Redaktion

INTERVIEW Finanzchef Nicolas Peter erklärt, warum BMW an Wasserstoff glaubt und weiter intensiv daran forscht

München – Nicolas Peter, 60, ist ein klassisches Eigengewächs. Sein gesamtes Berufsleben verbrachte der Jurist bei BMW. Heute ist er Finanzvorstand und mitverantwortlich dafür, den Münchner Autobauer zukunftssicher aufzustellen. Im Interview erklärt Peter, wie es aktuell um BMW bestellt ist und vor welchen Zukunftsaufgaben der Konzern steht.

Herr Peter, im Sommer hatten Sie noch gewarnt, dass sich bei BMW die Geschäfte verschlechtern. Wie ist die Lage aktuell?

Wir hatten in der gesamten Autoindustrie wegen der Covid-Lockdowns in China und den Engpässen bei Halbleitern ein schwächeres zweites Quartal. Nun sind wir aber wieder gut auf Kurs. Wenn nichts Gravierendes passiert, wird das zweite Halbjahr 2022 besser als der Vorjahreszeitraum sein.

Von Krise ist bei BMW also nichts zu spüren?

Die guten Zahlen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Lage von Region zu Region verschieden ist. In den USA läuft das Geschäft trotz der hohen Inflation sehr gut. In China sind bis zu 15 Prozent unserer Händler wegen Covid geschlossen, darunter leiden auch unsere Verkäufe. Und in Europa haben wir ein ganz unterschiedliches Bild. Automärkte wie Frankreich oder Italien sind relativ stabil, in Deutschland und Großbritannien ist hingegen die private Nachfrage spürbar zurückgegangen.

Der Heimatmarkt wird schwieriger. Warum?

Zum einen ist die Inflation hier höher als etwa in Frankreich. Zum anderen ist die Energiekrise präsenter als in anderen Ländern. Das bremst die Kauflust. Wir gehen aber davon aus, dass es auch in Deutschland und Europa Ende 2023 wieder besser wird.

Jeder dritte BMW wird mittlerweile in China verkauft. Macht Ihnen diese Abhängigkeit Sorgen?

Es ist nicht überraschend, dass der größte Automarkt der Welt für ein global aufgestelltes Unternehmen wie BMW sehr wichtig ist. China hat sehr systematisch in Elektromobilität investiert. Die führenden Hersteller für Batteriezellen kommen von dort und viele wichtige Rohstoffe. Ich würde das aber nicht als Abhängigkeit bezeichnen. Wir sind eher enge Partner.

Überdenken Sie angesichts der politischen Weltlage ihr Engagement in China? Sie haben dort auch zwei große Werke.

Wir fertigen dort, wo unsere Märkte sind. Und China ist für uns ein wichtiger Markt.

Die EU will den Verkauf von Verbrennern ab 2035 verbieten. Einverstanden?

Wir sind zumindest besser darauf vorbereitet als die meisten Konkurrenten. Bei den Absatzzahlen von E-Autos sind wir schon jetzt nach Tesla die Nummer zwei und Ende 2023 werden wir 13 elektrische Fahrzeuge im Programm haben. Wir bringen außerdem gerade die nächste Generation an Batterien auf den Markt, die 30 Prozent mehr Reichweite haben und 30 Prozent schneller laden können. Die Elektrifizierung in Europa wird aber nur gelingen, wenn die Rahmenbedingungen passen. Dafür müssen unbedingt die Stromnetze ausgebaut und ein dichtes Netz an Ladesäulen aufgebaut werden.

Der Verkehrsminister will bis 2030 eine Million Ladesäulen in Deutschland, heute sind es 70 000. Ist das Ziel realistisch?

Nicht, wenn der Ausbau so langsam weitergeht wie bisher. Hier muss etwas passieren – in Deutschland, aber auch in Südeuropa, wo die Ausbaugeschwindigkeit sogar noch langsamer ist. Es reicht nicht, wenn Norwegen oder die Niederlande eine gute Infrastruktur haben, ganz Europa braucht genug Ladesäulen.

Viele Autobauer wollen in einigen Jahren keine Verbrenner mehr bauen. BMW schon. Verändert der EU-Entscheid die Strategie?

Nein. Nur auf E-Autos zu setzen, wäre meiner Meinung nach blauäugig. In 20 Jahren werden unterschiedliche Techniken nebeneinander existieren. Steigende Rohstoffpreise sind zum Beispiel ein großes Risiko für die Elektromobilität. Der Preis von Lithium, das man für Batterien braucht, hat sich allein in den vergangenen 14 Monaten verfünffacht. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass bis 2035 alle Teile der Welt bereit sind, komplett auf E-Autos umzusteigen. Denken Sie etwa an Afrika, Indien oder Teile Asiens und des amerikanischen Kontinents. Hier wird es dauern, bis die nötige Infrastruktur steht. Deshalb werden wir als globaler Konzern parallel weiter Verbrenner herstellen und verkaufen.

Und wenn sich die Klimaaktivisten wie in der BMW-Welt vor ein paar Tagen an die Fahrzeuge kleben?

Wir sind immer bereit, mit Kritikern zu sprechen. Sachbeschädigung als Mittel des Protests können wir aber nicht gutheißen. Ich finde auch die Diskussion Verbrenner gegen E-Auto zu kurz gegriffen, es gibt ja noch andere Lösungen. Wir forschen zum Beispiel weiter intensiv an Wasserstoff-Antrieben.

Wirklich? Viele Experten sagen, dass Wasserstoff in Autos keine Zukunft hat.

Wir gehen davon aus, dass Wasserstoff mittelfristig eine Option ist. Es gibt ja keinen festgelegten Plan, wie sich die Autoindustrie, die mitten in einem Umbruch steckt, entwickeln wird. Auch Wasserstoff-Fahrzeuge sind CO2-neutral. Man kann sie schneller betanken und so mehr Kilometer am Tag zurücklegen. Außerdem fällt die große Batterie weg, man ist also weniger abhängig von kritischen Rohstoffen wie Lithium.

In Deutschland gibt es bisher nur rund 100 Wasserstoff-Tankstellen.

Das kann sich aber schnell ändern. Denn bei Bussen und Lkw wird Wasserstoff durchaus eine große Rolle spielen, und auch die Industrie benötigt ihn dringend, um ihre Prozesse zu dekarbonisieren. Deshalb wird die Infrastruktur dafür entstehen. Die Basis dafür gibt es schon: In Europa sind rund 60 000 Kilometer an Erdgas-Leitungen vorhanden, in denen man mit kleinen Umbauten Wasserstoff transportieren kann. Auch das Tankstellen-Netz kann man umbauen, um Wasserstoff-Fahrzeuge zu versorgen. Wenn diese Infrastruktur erst mal steht, lässt sie sich auch für Autos zu nutzen.

Wie kommt Ihre Forschung an Wasserstoff-Fahrzeugen voran?

Wie haben seit gut zehn Jahren eine Partnerschaft mit Toyota und kommen sehr gut voran. Lange war die Integration der Wasserstoff-Tanks ein großes Problem. Die sehen aus wie eine Sauerstoffflasche, sind aber Hightech, denn sie müssen deutlich größeren Druck aushalten. Anders als Benzin- oder Dieseltanks kann man sie nicht biegen und in freie Hohlräume integrieren. Hier machen wir aber sehr große Fortschritte und starten demnächst mit einer Kleinserie an Wasserstoff-X5, mit der wir wichtige Erfahrungen sammeln werden. Wir können uns gut vorstellen, dass wir Ende des Jahrzehnts dann eine Großserie auf den Markt bringen werden.

Viele chinesische Hersteller drängen auf den Markt und machen Europa bei E-Mobilität mit günstigen Modellen Konkurrenz.

Das trifft aber eher die Volumenhersteller. Im Premium- und Luxussegment haben wir mit unseren Marken BMW und Mini sowie Rolls-Royce einen sehr hohen Marktanteil von über 25 Prozent.

In München baut BMW seit 1953 Automotoren. 2026 wird damit Schluss sein. Das Ende einer Ära. Ist das eine Abwertung für den Standort München?

Nein. Der Motorenbau wandert zwar nach Österreich und Großbritannien ab, München wird aber bei der Elektrifizierung eine zentrale Rolle spielen. Bis 2030 soll jeder zweite neue BMW weltweit elektrisch sein, in München ist das sogar schon heute der Fall. Wir investieren einen Milliardenbetrag, um in Bayern Batteriemodule herzustellen. In München wird unter anderem der elektrische i4 gebaut, der iX rollt außerdem in Dingolfing vom Band. Die Nachfrage nach den elektrischen Modellen ist noch besser, als wir gehofft hatten. Wir sind mit 34 000 Mitarbeitern der größte privatwirtschaftliche Arbeitgeber in München und bauen Personal auf statt ab. Wir investieren zum Beispiel sehr stark in unser Forschungszentrum in München und in die Entwicklung von Software.

Lange hieß es im Autobau, der Verbrenner bringt die Marge. Tesla zeigt mittlerweile, dass es auch mit Elektroautos geht. Wie ist es bei BMW?

Hier ist das Glas halb voll. Mit einem E-Auto verdienen wir zwar gutes Geld, bisher aber je nach Fahrzeug zwischen 1000 und 4000 Euro weniger als mit einem Verbrenner. Mit der Neuen Klasse, die wir 2025 auf den Markt bringen, werden wir diese Lücke aber schließen. Hier spielen auch die Rohstoffpreise eine große Rolle, auch sie entscheiden über die Profitabilität eines Autos. Deshalb wollen wir den Recyclinganteil in unseren Fahrzeugen von heute 30 auf 50 Prozent erhöhen.

2021 haben Sie Ihren Mitarbeitern in Bayern 16 Gehälter gezahlt. Wie sieht es heuer aus?

Da waren hohe Gewinnbeteiligungen dabei, vertraglich zahlen wir 14,7 Monatsgehälter. Über die Höhe der Gewinnbeteiligungen für 2022 entscheiden wir, wenn der Jahresabschluss fertig ist. Bisher läuft es ganz gut und wir werden natürlich auch unsere Mitarbeiter am Erfolg des Unternehmens teilhaben lassen.

Mit dem Ausbau der E-Mobilität wollen Sie mehr auf Direktvertrieb im Internet setzen. Ist das für die Händler die kurze Leine?

Vor zehn Jahren sind Kunden fünf- bis sechsmal zu einem Händler gegangen, bis sie ein Auto gekauft haben – heute nur noch 1,6 Mal. Sie informieren sich vermehrt im Internet und nutzen dabei den Online-Konfigurator viel stärker. Wir wollen den Kunden deshalb die Möglichkeit geben, direkt bei uns im Internet zu bestellen. Hier sind wir mit den Händlern in konstruktiven Gesprächen. Die Veränderungen werden aber erst 2024 bei Mini und 2026 bei BMW in Europa kommen. Das heißt aber nicht, dass wir unser Händlernetzwerk schwächen. Es ist auch gegenüber der Konkurrenz ein großer Vorteil, dass wir eine starke Servicestruktur haben.

Zum Händler geht man auch, um den Preis zu verhandeln. Wird das in Zukunft noch möglich sein?

Nein. Der Preis wird, wie bei vielen anderen Produkten, die man im Internet kaufen kann, dann festgelegt sein.

Das Gespräch führten Andreas Höß und Georg Anastasiadis

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