Lampedusa – Die Bilder sollten Einigkeit demonstrieren: Italien und die EU stehen Seite an Seite beim Bemühen, die Migration nach Europa in den Griff zu kriegen. Man hätte den Besuch von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni am Sonntag auf Lampedusa auch als Schulterschluss zwischen Italien und der EU bezeichnen können. Doch das eine sind Bilder, das andere ist die Realität.
Von der Leyen und Meloni besuchten das Auffanglager der nur 150 Kilometer von der tunesischen Grenze entfernten Insel. Allein vergangene Woche waren über 8000 Migranten vor allem aus der tunesischen Hafenstadt Sfax über das Mittelmeer gekommen. Das für 400 Ankömmlinge ausgelegte Lager war zeitweise mit über 7000 Menschen überfüllt. In den vergangenen Tagen waren die Migranten nach Sizilien gebracht worden. Am Sonntag befanden sich noch rund 1500 Menschen im Lager.
Auf einer Pressekonferenz kündigte Meloni ein hartes Vorgehen gegen Migranten und Menschenhändler an. „Das Minimum ist eine europäische Marine-Mission gegen die Schlepper.“ Sie könne sich eine Beteiligung der Vereinten Nationen vorstellen. In der Vergangenheit hatte sie immer wieder eine Blockade der Flüchtlingsboote gefordert. „Die einzige Möglichkeit, das Problem ernsthaft anzugehen, ist, die illegalen Ausreisen zu stoppen“, sagte Meloni, die eine Rechtskoalition in Italien führt.
Im Juli hatten die EU und Italien ein Abkommen mit Tunesien unterzeichnet, wonach Tunesien die Abfahrten über das Meer unterbinden soll und im Gegenzug Milliarden-Hilfen bekommt. Das Abkommen funktioniert aber offensichtlich nicht. „Das ist ein Problem, das alle angeht“, sagte Meloni. Sie sehe den Besuch von der Leyens weniger als Geste der Solidarität, sondern als „Akt der Verantwortung von Europa gegenüber sich selbst“. Die italienischen Grenzen seien auch europäische Grenzen.
„Wir brauchen ganz gewiss eine europäische Lösung“, erklärte von der Leyen. Wir müssen ein Kriterium für den Zugang in die EU festlegen.“ EU und die Grenzschutzbehörde Frontex könnten dabei helfen, die große Zahl von Migranten auf der Insel zu bewältigen, indem diese auf andere Staaten der EU verteilt würden. Notwendig sei auch eine schnelle Rückführung derjenigen, die „keine Chance auf Asylrecht haben“. Von der Leyen appellierte an die EU-Länder: „Wir bitten andere Mitgliedsstaaten dringend, Solidarität zu beweisen.“
Nach einem freiwilligen Solidaritätsmechanismus hatten sich unter anderem Deutschland und Frankreich zur Übernahme von Migranten verpflichtet. Vor Tagen kündigten beide Länder diese Bereitschaft auf, weil Italien die Rücknahme weitergewanderter Migranten verweigerte, obwohl diese erstmals in Italien EU-Territorium betreten hatten. Laut geltendem EU-Recht müssen diese Migranten im Ankunftsland einen Asylantrag stellen.
Von der Leyen versprach, bald einen Zehn-Punkte-Aktionsplan „zur Unterstützung Italiens“ vorlegen zu wollen. Der Spielraum der EU-Kommission in der Migrationsfrage ist gleichwohl beschränkt. Es sind die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten, die sich auf ein Vorgehen einigen müssen.
Nach italienischen Angaben kamen heuer bislang 127 207 Migranten übers Mittelmeer nach Italien – fast eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr. Rund 2000 Menschen sollen beim Versuch, die EU zu erreichen, ertrunken sein, darunter hunderte Kinder. Am Sonntag starb ein Baby, das während der Flucht zur Welt kam. Als ein Patrouillenboot den Kahn aufbrachte, war das Baby schon tot. JULIUS MÜLLER-MEININGEN