München – Es gibt noch keine Koalition, aber schon ihren ersten Krach. Auf zwei Bühnen in München treten an diesem Montag erst Hubert Aiwanger und dann Markus Söder vor die Kameras. Eigentlich sollen sie was über die Wahlergebnisse sagen, sich möglichst zufriedengeben. Doch dann lassen sie raus, was sie sich zuvor fünf Jahre lang verkniffen haben: Sie beschimpfen sich. Nicht unflätig, aber inbrünstig. „Ich würde der CSU empfehlen, jetzt nicht so mädchenhaft aufzutreten“, sagt Aiwanger, der Chef der Freien Wähler. Und Söder, der Vorsitzende der CSU, kontert Minuten später: „Ich rate umgekehrt, nicht pubertär zu agieren.“
Das können ja noch muntere Wochen werden. Von nun an haben die Parteichefs nur 27 Tage Zeit zum Zusammenraufen, Bayerns Verfassung setzt enge Fristen für die Koalitionsbildung. Doch statt es wie 2018 gar nicht erwarten zu können, miteinander im Hinterzimmer zu verschwinden, gibt es diesmal Rangeleien, aufgestauten Ärger.
Aiwanger ist den Zahlen nach in der besseren Position. Seine Freien Wähler haben am Wahlabend satt zugelegt. In der Nacht, als die Briefwahlzettel gezählt werden, schiebt sich seine Partei sogar noch an der AfD vorbei auf Platz 2. 15,8 Prozent, ein Plus von 4,2 Punkten. Davor steht nur die CSU, die nun das hat, was viele befürchtet haben: einen kleineren Partner, der sich so gar nicht klein fühlt.
Aiwanger lädt also in ein feines Hotel an der Münchner Bayerstraße und deutet an, was er von der CSU verlangen will. Bisher stellen seine Freien Wähler drei Minister, Wirtschaft, Umwelt, Kultus, wollen sie behalten, die Forderung nach einem vierten steht im Raum. Wer das Wahlergebnis betrachte und rechnen könne, könne sich die Antwort selbst geben, sagt er nur. Das könne „Jeder Grundschüler“. Heißt: Ja klar!
Welches Haus er fordert, ist dem Vernehmen nach offen. Ideen gibt es: Landwirtschaft wurde genannt, Justiz soll eine Option sein, vielleicht für den früheren Fernsehrichter Alexander Hold oder für Fraktionschef Florian Streibl. Am Montag weisen zudem Aiwanger und seine Generalsekretärin Susann Enders mehrfach darauf hin, wie wichtig gesundheitspolitische Fragen wie die Zukunft der Krankenhäuser für das Land seien.
Aiwanger belässt es nicht dabei, sondern spottet über die CSU, die „mehrmals im Jahr“ ihre politische Richtung wechsle und sich „mal links von uns und mal rechts von uns“ verorte. Er geht weit auf Distanz: „Ich bin doch nicht die JU“, sagt er. „Oder die Plakatiertruppe der CSU.“ Solle er den Leuten sagen, dass „bitte nur einer in der Familie“ die Freien Wähler wählen dürfe? Sein FW-Landesvorstand, der die Pressekonferenz verfolgt, klatscht vergnügt Beifall.
Wer wenig später Söder an einem Rednerpult in seiner Parteizentrale stehen sieht, wie immer breitbeinig und auf 1,94 Meter aufgerichtet, mag das Attribut „mädchenhaft“ verwegen finden. Darum geht es ja auch nicht – sondern um eine harte Machtprobe zwischen beiden. Söder bemüht sich, Aiwangers Truppe zu stutzen: Man müsse „Größenunterschiede realisieren“ und „auf dem Teppich bleiben“.
Von den Freien Wählern fordert er vor Verhandlungen erst mal ein Bekenntnis ein, „nicht zu spalten“, Stadt und Land nicht gegeneinander aufzuhetzen. „Die Richtlinienkompetenz liegt beim Stärkeren“, sagt Söder. Er lässt fallen, dass er alle drei FW-Minister nicht für stark hielt. Von ihnen müssten „mehr Leistungen erbracht werden“, es stellten sich im Bereich Wirtschaft, Schule und Umwelt „doch viele Fragen“. Kurios: Bis zum Wahlabend hatte Söder noch tapfer eine angeblich makellose Leistungsbilanz seiner bürgerlichen Regierung gepriesen.
Jetzt bekennt er sich nicht mehr bedingungslos zu dieser Koalition. Schwarz-Grün schließt er klar aus, ein Bündnis mit der SPD nennt er „parlamentarisch denkbar, aber knapp“, und sagt zu Schwarz-Orange, das wolle man, aber „nicht um jeden Preis“.
Ziel der Manöver beiderseits: Möglichst viel rausholen bei den Verhandlungen. Söder steht da auch unter Druck. Im Wahlkampf hat er einem halben Dutzend Ministern „Jobgarantien“ gegeben, muss sie nun einhalten. Darunter sind die für die CSU unantastbaren Ressorts für Inneres und Finanzen. Bei Söder kommt noch was dazu: Je lauter er mit Aiwanger ringt, desto mehr gerät in den Hintergrund, dass er sich in seiner eigenen Partei gegen Kritiker verteidigen muss, die 37 Prozent gar nicht so prickelnd finden. Auch am Montag wieder, als der Parteivorstand tagt. Söder mag hinterher verkünden, „einheitlich“ habe die CSU-Spitze seine Strategie gebilligt – Teilnehmer erzählen anderes.
Zumindest Parteivize Manfred Weber meldet sich zu Wort. Er habe schon vor einem Jahr eine härtere Auseinandersetzung mit den Freien Wählern und mehr personelle Breite gefordert, wird der Niederbayer zitiert. Weber schildert die Situation der CSU eher dramatisch. Sie sei immer die Stimme Bayerns gewesen, es galt der eherne Grundsatz: keine demokratisch legitimierte Partei rechts von der CSU. Beide Grundpfeiler seien am Einstürzen. Vom Ehrenvorsitzenden Theo Waigel wird der Satz überliefert, man müsse mehr Personal zulassen. Es ist (unausgesprochen) Kritik an der One-Man-Show CSU. Auch im Vorstand der CSU Oberbayern gibt es am Nachmittag Kritik an der Strategie für den ländlichen Raum, obwohl mehrere enge Söder-Vertraute im Raum sind.
Gefährlich werden solche Sätze für Söder aber nicht. Die breite Mehrheit steht hinter ihm, keine Revolution. Den Niederbayern Weber erinnert er zudem an das düstere regionale Ergebnis im Regierungsbezirk, wo die CSU am Sonntag über 6 Prozent absackte, mit 31 Prozent fast auf Augenhöhe mit den Freien Wählern rutschte.
Bleibt nun was zurück vom Wortgefecht mit Aiwanger? „Pubertär“, das hatte es ja in sich, ein indirekter Hinweis auf den Schüler Hubert und seine Gesinnung zu Schulzeiten? Den Koalitionsverhandlungen wird es wohl nicht im Weg stehen. Schon für Donnerstag ist der erste Sondierungstermin angepeilt.