München – Wenn es hart auf hart kommt, hilft manchmal nur Humor. Das war auch vor 100 Jahren so. Als die Marktgemeinde Waldkirchen im Bayerischen Wald am 25. Oktober 1923 ein eigenes Notgeld ausgeben musste, fügte man dem selbst erstellten Zahlungsmittel neben einem Bild des Marktplatzes samt Kirche noch einen kleinen Spruch hinzu: „Wir sind ein Volk von Milliardären und können uns nur halb ernähren“, kalauerte es von den Scheinen. Ihr Wert: 20 Milliarden Mark. Dafür gab es damals ziemlich genau ein Kilo Schweineschmalz.
Ein Volk von Milliardären: Das klingt nach unendlichem Reichtum, wie aus einem Märchen. „Für die meisten Deutschen glich die Hyperinflation, die im Herbst 1923 ihren Höhepunkt erreichte, aber eher einem Albtraum“, sagt Richard Winkler vom Bayerischen Wirtschaftsarchiv, in dem der Notschein mit dem Kalauer für die Nachwelt aufbewahrt wird. Die Mark verlor damals so rasant an Kaufkraft, dass die Reichsbank nicht mehr hinterherkam, den Wertverlust durch das Drucken neuer Scheine auszugleichen. In Deutschland rotierten in der Spitze bei über 130 Firmen rund um die Uhr bis zu 1783 Druckerpressen. Doch selbst das war nicht genug. „Deshalb durften fast 6000 deutsche Gemeinden und Städte ihr eigenes Notgeld ausgeben, darunter Waldkirchen“, erklärt Winkler. Über 1000 Trillionen Mark waren im Umlauf.
Der inflationäre Teufelskreis begann nach dem Ersten Weltkrieg. Das deutsche Kaiserreich hatte den mit Krediten finanzierten Krieg verloren. Die junge Weimarer Republik erbte diese Schulden, musste Milliarden an Reparationen an die Siegermächte zahlen, Gebiete abtreten, Hinterbliebene und Verwundete versorgen. Das nötige Geld holte sich die Reichsregierung aus der Presse. Als Deutschland schließlich keine Reparationen mehr leistete und Frankreich daraufhin das Ruhrgebiet besetzte, rief die Regierung die Menschen im Ruhrgebiet zum Generalstreik auf und versprach ihnen dafür ein Gehalt. Ab da rotierten die Pressen immer schneller – und das Geld verlor in schwindelerregendem Tempo an Wert. Welche Auswirkung das hatte, veranschaulicht eine ebenfalls im Bayerischen Wirtschaftsarchiv eingelagerte historische Tabelle mit Lebensmittelpreisen. Im Frühjahr 1920 kostete ein Liter Milch demnach 1,10 Mark, ein Jahr später schon doppelt so viel. Bis Herbst 1922 schnellte der Milchpreis auf fast 40 Mark – eine Teuerung von fast 4000 Prozent in zwei Jahren. Dabei sollte das dicke Ende erst im Herbst 1923 kommen, als die Inflation richtig zu galoppieren begann und man für einen Liter Milch 200 Millionen Mark hinlegen musste. Ähnlich war es bei anderen Waren. So kostete ein Kilo Rindfleisch in Bayern im Herbst 1923 drei Milliarden, ein Kilo Kaffee 72 Milliarden und ein Herrenanzug 645 Milliarden Mark.
Die Gehälter hielten mit dieser irrwitzigen Teuerung nicht mit. Für die Deutschen bedeutete das: erfinderisch sein – und schnell. Löhne wurden im Herbst 2023 meist täglich ausgezahlt, längere Zeiträume waren nicht mehr planbar. Frauen nahmen ihren Männern schon vor den Werkstoren das Geld ab und trugen es in Wäschekörben, Koffern und Eimern sofort zu den Läden, um es auszugeben, bevor es wertlos war. Doch selbst der sofortige Einkauf war nur noch begrenzt möglich, viele Geschäfte nahmen kein Bares mehr. Wegen dem enormen Vertrauensverlust in die Währung entstand ein blühender Tauschhandel und eine Massenwanderung zu den Bauern auf dem Land. Wer Wertgegenstände hatte oder etwas herstellte, konnte es gegen Lebensmittel oder Kohle tauschen. Wer nicht, der hatte ein Problem.
Abgesehen von einigen wenigen Inflationsgewinnern wie dem Industriellen Hugo Stinnes, der sein Imperium auf Pump errichtet hatte und dessen Schulden sich in Luft auflösten, kannte die Inflation viele Verlierer. Vor allem die Beamten, Angestellten und die Mittelschicht traf die Teuerung hart, weil sie das mühsam Ersparte im Zeitraffer entwertete. Selbst wer Sachwerte wie Schmuck oder Kunst besaß, tauschte sie am Ende oft gegen Essbares ein.
Sogar Immobilien wechselten den Besitzer. Der Gassenhauer „Wir versaufen unser Oma ihr klein Häuschen“ des Berliner Varietékomikers Robert Steidl aus dem Jahr 1922 hatte also einen realen Hintergrund. Viele Deutsche stürzten sich mit Galgenhumor ins Nachtleben, hauten ihr kleines Vermögen oder ihr Erbe auf den Kopf, bevor man nichts mehr dafür bekam. „Die Inflation nivellierte die Gesellschaft“, sagt der Historiker und Journalist Frank Stocker, der ein Buch über das Jahr 1923 geschrieben hat, in dem die „deutsche Geldkatastrophe“ stattfand. „Am Ende war die Mehrheit finanziell auf einem ähnlich niedrigen Niveau vereint.“
Eine Besserung war lange nicht in Sicht. Die Reichsregierung versuchte zwar gegen Wucher vorzugehen, konnte aber nur selten belegen, welche Preissteigerungen im Inflationswahnsinn überzogen waren. Zudem verschwendete sie viel Energie auf den Kampf gegen „übermäßigen Genuss“ und verbot Tanzveranstaltungen, Kostümfeste und in Bayern sogar Trachtenfeste und Bauernbälle. Selbst in die Speisekarten regierte man hinein. Eierspeisen zum Frühstück waren nicht mehr erlaubt, ein Abendessen durfte nur streng vorgeschriebene Gänge haben, auch Absinth durfte nicht mehr verkauft werden. „Es war das klassische Problem“, sagt Stocker. „Die Regierung kurierte an den Symptomen herum, statt die Ursachen anzugehen.“
Erst am 15. November beendete die Reichsregierung unter Gustav Stresemann den Spuk – mit einer Währungsreform. Beim Wechsel auf die Reichsmark verschwanden die vielen Nullen wieder von den Scheinen. Für Sparer, die noch etwas Geld auf der Bank hatten, ein Horror, der Staat profitierte hingegen: Seine 154 Milliarden Kriegsschulden schnurrten über Nacht auf 15,4 Pfennige zusammen. „Diese Erfahrung, dass das Geld total kaputt ist, hatten die Leute davor noch nie gemacht“, sagt Winkler. Das habe das Vertrauen in den Staat untergraben und den Aufstieg des Rechtsradikalismus in der Weimarer Republik befördert. „Es ist kein Zufall, dass der Hitler-Putsch in den Inflationswirren des Novembers 1923 stattfand.“