Benko-Beben: München hält die Luft an

von Redaktion

VON KATHRIN BRAUN, SASCHA KAROWSKI, ANDREAS HÖSS, SEBASTIAN HÖLZLE UND WOLFGANG HAUSKRECHT

München – Mehr als 6000 Quadratmeter Fläche im Herzen der Münchner Innenstadt: Die Alte Akademie ist fraglos eine Top-Immobilie. Für 240 Millionen Euro hat die Signa-Gruppe den historischen Bau 2013 in Erbpacht vom Freistaat erworben. Derzeit kann man höchstens durch eine Lücke im Zaun einen genaueren Blick auf die Baustelle erhaschen. Am Mittwoch stehen ein paar russische Arbeiter mit Helm und Warnweste vor dem Zaun. „Wir sind zur Beton-Sanierung hier“, sagt einer auf Russisch. „Heute ist unser erster Tag.“ Auch ein paar Dachdecker seien da. Es herrscht kein Hochbetrieb, aber es wird gebaut. Von einem möglichen Baustopp haben die Arbeiter bisher nichts gehört. Klar ist aber, dass die neuen Büros, Wohnungen und Geschäfte, die das Signa-Imperium dort versprochen hat, nicht wie geplant in diesem Jahr fertig werden.

Die Alte Akademie ist nur eine von vielen Luxusimmobilien, die Signa in München hat. Ein paar hundert Meter weiter gehören ihr auch die beiden Karstadt-Gebäude am Hauptbahnhof und an der Schützenstraße. Der einstige Konsum-Tempel ist derzeit ein Schandfleck. Die Schaufenster sind leer, in den Eingängen schlafen Obdachlose. An den Türen riecht es nach Urin. Seit zwei Wochen sind sie extra fest verschlossen, weil sich drinnen Drogenabhängige einquartiert hatten. An dem historischen Altbau klafft ein riesiges Loch, ein Teil wurde bereits abgerissen. Jetzt werde aber schon lange nicht mehr daran gearbeitet, sagt der Pförtner aus seinem Container vor der Baustelle. „Keine Ahnung, wann es weitergeht“, sagt er schulterzuckend. Er passe nur auf, dass niemand das Gebäude betritt.

Das Thema hat auch die Politik erreicht. „Was der Rückzug von René Benko aus der Signa Gruppe für München bedeutet, ist noch nicht klar. Aber ganz grundsätzlich ist es natürlich äußerst bitter, wenn ein Investor gleich mehrere Immobilien an stadtbildprägenden Stellen in München besitzt und diese Firma dann erheblich unter Druck steht“, sagte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) unserer Zeitung auf Anfrage. Wie berichtet, musste sich Benko auf Druck der Investoren aus der Signa Gruppe zurückziehen. Jetzt hat Sanierungsexperte Arndt Geiwitz das Ruder übernommen. – und soll es herumreißen. So kometenhaft der Aufstieg des 46-jährigen René Benko war, so tief könnte der Fall sein. Vor allem mit Immobilienprojekten machte sich der 46-jährige Österreicher milliardenschwer. In München wird er 2011 bekannt, als die Signa das Traditionskaufhaus Oberpollinger kauft. 2012 erwirbt er das Berliner KaDeWe und 16 weitere Karstadt-Immobilien, 2013 übernimmt er das Karstadt-Geschäft. Es läuft für den Österreicher – auch wegen der niedrigen Zinsen.

Mit dem Ukraine-Krieg beginnen die Probleme. Die Europäische Zentralbank erhöht den Leitzins im Rekordtempo, Banken verteuern Kredite, die Baukosten explodieren, die Eigenkapitaldecke ist dünn. Benkos schuldenfinanziertes Imperium wankt. Von einer Insolvenz bis zu einem vielversprechenden Neustart ist derzeit so ziemlich alles denkbar.

Anfragen an die Signa Holding bleiben unbeantwortet. Die österreichische Holding mit ihren hunderten Töchtern und Unterfirmen mauert. Wer sich im Münchner Büro nach dem aktuellen Stand der Projekte erkundigen will, wird schroff an den Hauptsitz in Wien verwiesen. Ruft man die Wiener Nummer an, heißt es, Fragen würden nur per Mail entgegengenommen. Die Mails der Journalisten dürften sich im Posteingang des Pressesprechers stapeln, beantwortet werden sie nicht. Was man weiß: Sanierer Geiwitz will bis Ende November einen Plan zur Restrukturierung vorlegen.

Wie angespannt die Lage ist, zeigt ein Blick in andere Städte. In Hamburg gibt es einen vorläufigen Baustopp am Prestigeobjekt Elbtower (der 245 Meter hoch werden soll) und an der Gänsemarkt-Passage. In Düsseldorf ruhten zuletzt die Arbeiten am Carsch-Haus, weil Baufirmen offenbar auf ihr Geld warten. Und in Berlin soll die Immobiliengruppe alle Bauaktivitäten, darunter zwei Karstadt-Projekte, unterbrochen haben. In München herrscht entsprechend Alarmstimmung. Wie unsere Zeitung aus Branchenkreisen erfuhr, hat OB Reiter bei der Stadtsparkasse München einen wöchentlichen Bericht angefordert. Die Stadtsparkasse ist Mitfinanzier der Alten Akademie und der Schützenstraße. Auch die Bundesfinanzaufsicht (BaFin) fordert offenbar wöchentlich einen Bericht von der Stadtsparkasse. Immerhin: Bei der Alten Akademie sind bereits 80 bis 85 Prozent der künftigen Fläche vermietet, weswegen das Projekt unter Insidern als „nachhaltig“, also sicher gilt. Ein Großmieter ist der Schweizer Pharmakonzern Novartis, der langfristig 9350 Quadratmeter Bürofläche angemietet hat. Der Deal wurde von Signa bereits Ende 2021 verkündet.

Und wie sieht es mit den anderen Projekten in München aus?

Zuletzt hatte die Signa das Kaut-Bullinger-Haus an der Rosenstraße erworben. Der Schreibwarenhändler zog 2022 aus, seitdem läuft ein Baugenehmigungsverfahren. Das Gebäude sollte weitgehend durch ein Büro- und Geschäftshaus mit drei Untergeschossen ersetzt werden. Mitte dieses Jahres wurde dann bekannt, dass die Immobilie zum Verkauf steht. Für 100 Millionen Euro wird sie per Makler angeboten.

Mit dem Kauf der Kette Galeria-Karstadt-Kaufhof hatte sich Benko mehrere Filetstücke gesichert – auch in München. Laut der „Immobilien Zeitung“ hat die Signa ihre Anteile am Kaufhof am Marienplatz verkauft. Bei der Stadt liegen Anträge für Umbauten der Flächen vor.

Auch für den ehemaligen Karstadt am Hauptbahnhof gibt es Pläne. Das Gebäude wird umgebaut. Wie es nach dem Umbau weitergeht, ist offen. Ebenso die Zukunft des Karstadt an der Schützenstraße. Laut Stadt liegt derzeit kein Antrag auf Baugenehmigung oder auf Abbruch vor.

Klar scheint, wie es mit dem Karstadt am Rotkreuzplatz weitergeht. Das Gebäude wird zum Kauf angeboten. Das alte Karstadt-Sport-Gebäude am Karlstor hat Benko schon verkauft. Der Umbau ist fertig, einziehen sollen Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts. Ebenfalls veräußert hat die Signa 50,1 Prozent der Anteile an der KaDeWe-Gruppe, zu der in München der Oberpollinger gehört. Und erst vor wenigen Tagen hat Signa den Sportartikel-Filialist SportScheck, den Benko erst 2020 erworben hatte, an den britischen Sport- und Modehändler Frasers verkauft.

OB Dieter Reiter ist in Sorge, dass exponierte Immobilien der Signa womöglich auf unbestimmte Zeit leer stehen und verwahrlosen. „Das wäre das Worstcase-Szenario.“ Die Stadt könne leider nicht steuern, wer als Käufer einsteigt. Und es sei auch nicht Aufgabe der Steuerzahler, Verluste von Investoren auszugleichen, die sich verzockt hätten. „Ich kann nur hoffen, dass sich, sollten die Immobilien verkauft werden, vernünftige Investoren finden, die eine nachhaltige und verantwortungsvolle Stadtentwicklung als mindestens so wichtig erachten wie den schnellen Gewinn.“

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