Ist Bürgergeld gleich Ausländergeld?

von Redaktion

Menschen mit Migrationshintergrund beziehen besonders häufig Bürgergeld. © Foto: Picture Alliance/Grafik: PMS/Münchner Merkur

München – Wer im Sportverein, am Stammtisch oder einfach unter Freunden eine hitzige Diskussion vom Zaun brechen will, braucht eigentlich nur ein Wort in den Raum werfen: Bürgergeld. Tut man das, sollte man aber zumindest die wichtigsten Zahlen und Fakten kennen. Denn nicht jedes Klischee entspricht der Realität. Und manche unbequeme Wahrheit gibt es dennoch. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

Was ist das Bürgergeld?

Das Bürgergeld ist eine staatliche Unterstützung für Menschen, die grundsätzlich arbeiten können, aber trotzdem bedürftig sind. Rentner können es nicht beantragen, für sie gibt es Grundsicherung. Das Bürgergeld wurde 2023 eingeführt. Es ist der Nachfolger von Hartz IV, das im Ruf stand, Bezieher zu gängeln. Deshalb sollte das Bürgergeld etwas weicher daherkommen – mit weniger Sanktionen und etwas höheren Vermögensgrenzen.

Wie hoch ist der Bürgergeld-Satz?

Gab es bei Hartz IV noch 449 Euro für Alleinstehende, stieg der Bürgergeld-Satz 2023 auf 502 Euro, 2024 wurde er auf 563 Euro erhöht. Er orientiert sich an der Inflation. Hinzu kommen Wohn- und Heizkosten und weitere Leistungen, etwa Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung, die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht, ein verbilligtes Ticket für Bus und Bahn sowie ein Bildungspaket für die Kinder, das unter anderem Schulbedarf sowie kostenfreies Essen in Schule oder Kita umfasst. 2024 sind im Bundeshaushalt 26,5 Milliarden für das Bürgergeld und 11,1 Milliarden für Heiz- und Wohnkosten geplant. Finanziert wird das aus Steuern.

Arbeiten Empfänger von Bürgergeld nicht?

So pauschal stimmt das nicht. Von den etwa 5,5 Millionen Bürgergeldempfängern stuft die Bundesagentur schon über 1,5 Millionen als nicht erwerbsfähig ein. Dabei handelt es sich vor allem um Kinder und um Menschen mit Krankheiten, Behinderungen oder psychischen Störungen. Bleiben etwa vier Millionen, die grundsätzlich arbeiten können. Jeder Fünfte tut das auch, das sind über 800 000 Bürgergeldbezieher. Bei ihnen reicht der Lohn nur nicht zum Leben. Hinzu kommen alle Leistungsbezieher, die eine Schule oder Studium absolvieren, Angehörige pflegen, Kinder erziehen oder in Weiterbildung stecken. Bleiben etwa 1,7 Millionen Bezieher von Bürgergeld, die tatsächlich nichts tun.

Hält Bürgergeld die Menschen vom Arbeiten ab?

Manchmal mag das der Fall sein. Aber: „Die von manchen Politikern aufgestellte Behauptung, wer nur Sozialleistungen beziehe, bekomme netto mehr als ein Geringverdiener, ist schlicht falsch“, sagt Wirtschaftsforscher Andreas Peichl vom Münchner ifo-Institut. Er hat untersucht, ob und wann es sich für Geringverdiener lohnt zu arbeiten. Ergebnis: Immer. Allerdings erarbeitet man sich manchmal nur ein kleines Plus. Ein Extrembeispiel ist eine Alleinerziehende, die 2000 Euro brutto im Monat verdient und zugleich Transfers bezieht. Steigert sie ihr Einkommen auf 3000 Euro, werden ihr die Leistungen so gekürzt, dass nur ein Plus von 59 Euro bleibt. Meist lohne sich Mehrarbeit aber spürbarer, so Peichl.

Haben viele Bezieher Migrationshintergrund?

Ja. Laut Statistik haben 2,5 der vier Millionen Bürgergeldbezieher Migrationshintergrund. Das sind 63 Prozent, in der Gesamtbevölkerung machen sie nur rund 30 Prozent aus. In Bayern ist die Quote mit 69 Prozent sogar noch etwas höher. Im Freistaat gibt es fast 327 000 Empfänger von Bürgergeld, 221 000 davon mit Migrationshintergrund. Doch Achtung: Den Begriff „Migranten“ fasst die Arbeitsagentur extrem weit. Dazu zählen auch Menschen mit deutschem Pass, die entweder selbst nach 1949 nach Deutschland gekommen sind oder die mindestens einen Elternteil haben, der nach 1949 eingewandert ist. Ein extrem breites Spektrum, das von Sudetendeutschen über italienische oder türkische Einwanderer samt (längst erwachsenen) Kindern mit deutschem Pass bis zu im Zuge der letzten EU-Erweiterungen aus Kroatien, Bulgarien oder Rumänien gekommene Zuwanderer und ukrainische Flüchtlingen reicht.

Sind Ausländer im Bürgergeld überrepräsentiert?

Ja. 1,8 Millionen Ausländer ohne deutschen Pass bekommen Bürgergeld. Das sind 46,7 Prozent aller Bürgergeldbezieher, an der Gesamtbevölkerung machen sie nur 14,9 Prozent aus. Allerdings müsse man vorsichtig mit der Einordnung sein, warnt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): Zwar würden 19,9 Prozent der erwerbsfähigen Ausländer Bürgergeld erhalten, im Umkehrschluss heiße das aber auch, dass 80 Prozent der Ausländer arbeiten würden. Der Anteil von Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft im Bürgergeld sei „tatsächlich erhöht“, räumt ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit ein. Zugleich sei die Zahl der Beschäftigten mit ausländischem Pass aber stark gestiegen. 2013 seien es knapp vier Millionen gewesen, heute fast 5,5 Millionen. „Diese Menschen stützen unser Sozialsystem, sichern die Zukunftsfähigkeit deutscher Unternehmen und leisten einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des Wohlstands in Deutschland.“

Erhalten auch Asylbewerber Bürgergeld?

Grundsätzlich haben alle EU-Bürger mit deutschem Wohnsitz Anspruch auf Bürgergeld, Asylbewerber hingegen nicht. Sie erhalten eine staatliche Unterstützung, die deutlich unter dem Bürgergeld liegt. Erst wenn ihr Asylantrag anerkannt ist, können sie Bürgergeld beantragen.

Und Ukrainer?

Sie bilden eine Ausnahme und bekommen sofort Bürgergeld. Momentan ist das bei 855 000 Ukrainern der Fall – fast 550 000 davon Frauen. Laut Bundesregierung leben derzeit rund 1,3 Millionen Ukrainer und Ukrainerinnen in Deutschland, etwa 119 000 haben einen Job, weitere 37 000 einen Minijob. Bisher arbeiten also nur relativ wenige Ukrainer. Dennoch verweist das IAB darauf, dass Geflüchtete über die Jahre in den Arbeitsmarkt integriert werden. So hätten acht Jahre nach Ankunft in Deutschland immerhin zwei Drittel der Geflüchteten einen Job, Männer übrigens deutlich häufiger als Frauen (siehe Interview).

Gibt es keine Sanktionen für Verweigerer?

Etwas weniger hart als zu Zeiten von Hartz IV, doch es gibt sie durchaus. Lehnen Bezieher von Bürgergeld akzeptable Jobs ab oder erscheinen nicht zu Terminen, kann ihnen der Regelbedarf um zehn bis 30 Prozent gekürzt werden. Totalverweigerern kann der Regelbedarf derzeit sogar für zwei Monate komplett gestrichen werden. Laut Arbeitsagentur wurden im Jahr 2023 rund 130 000 Bürgergeldempfänger mit (teilweisem) Leistungsentzug sanktioniert.

Darf man trotz Bürgergeld Vermögen behalten?

Ja, aber in überschaubarem Rahmen. Eine vierköpfige Familie darf nach Ablauf einer Karenzzeit zum Beispiel ein Vermögen im Gegenwert von maximal 60 000 Euro haben. Dazu zählt so gut wie alles, was man besitzt: Bargeld, Wertpapiere, Schmuck, das Auto, die Lebensversicherung. Wohnung und Haus bis zu einer Wohnfläche von 130 beziehungsweise 140 Quadratmetern müssen Bezieher nicht verkaufen.

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