Auf Feldzug am Chiemsee

von Redaktion

Das römische Imperium umfasste weite Teile der damals bekannten Welt. Auch am Chiemsee und bei Rosenheim hinterließen die Römer Spuren. Nun wurden in der Region wieder römische Legionäre gesichtet. Unter ihnen ein OVB-Reporter. Wie es ihm beim Marsch in Sandalen erging.

Seebruck – In der Ferne die Berge, davor schimmert das Bayerische Meer, über uns lacht die Sonne. Auf den Uferwiesen des Chiemsees lassen sich Urlauber bräunen. Andere fahren entspannt Rad. Elektrorad zumeist. Wir schwitzen. Und ich weiß nicht, was mich mehr plagt: die Schmerzen an Rücken und Schulter, das Schwert, das bei jedem Schritt in die Kniekehle schlägt, die Hitze oder die scheuernden Riemen der Sandalen. Die Reise in die Zeit der Römer nimmt einen mit, buchstäblich und im übertragenen Sinne.

Begonnen hat die Reise in Seebruck. Genauer im Keller des Römermuseums Bedaium, das in einem schmucken alten Hof untergebracht ist, direkt neben der Kirche St. Thomas, die auf den Grundmauern eines römischen Kastells steht. Museumsleiter Matthias Ziereis reicht mir die Tunika, eine Art langes Unterkleid, leicht und bequem. Es folgt das Kettenhemd, das leichter ist, als es zunächst den Anschein hatte. Dann der Helm. Wir werden sicher keine Freunde werden. Es folgt das Schwert (Gladius) und über die Trageriemen der Schwertscheide der Gürtel. Schließlich reicht mir Ziereis den Wurfspeer, das Pilum (sperrig), und schließlich den Schild, das Scutum (sperrig und schwer). Beim Jupiter, wer kann mit so etwas marschieren? „Keine Angst“, sagt Ziereis, „das Scutum hängen wir dir nachher an einem Trageriemen über den Rücken.“

40 Kilo Ausrüstung schleppt ein Legionär

Ziereis hat auch eine Waage. 22 Kilo mehr als sonst wiege ich in Kampfmontur, der Unterschied macht sich schon die Treppenstufen hinauf bemerkbar. Ich ahne, dass dieser Marsch kein Spaziergang werden wird.

Doch da wäre Christoph Wallner aus dem Landkreis Rosenheim. Der Schreiner aus der Gegend zwischen Bernau und Frasdorf nimmt seinen Auftrag ernst. Er hat eine Forca dabei, eine Art Holzkreuz. Daran befestigten die Legionäre Roms, was sie zur Zelt-WG beizusteuern hatten. Je acht Mann bildeten so ein Contubernium. Vom Topf bis zu Lebensmitteln hatte jeder etwas beizutragen. Obst, Schalen, Töpfe, Werkzeug, Kleidung. All das schleppt Christoph mit. Er bringt über 40 Kilo Zusatzgewicht auf die Waage. Muli Mariani, die Mulis des Gaius Marius, so nannte man damals die von Marius gedrillten Legionäre. Die Marschroute sieht so aus: Aufbruch vom Römermuseum in Richtung Osten über die Alz, dann zur Bushaltestelle. Dann nach Chieming. Mit dem Omnibus, was uns Römer nicht weiter stört, weil „Omnibus“ Latein ist und „für alle“ bedeutet. Also auch für Legionäre.

Wir scheppern wie
die Blechbüchsen

Mir steht bereits der Schweiß auf der Stirn. „Du kannst noch umkehren“, sagt Ziereis mit einem fragenden Unterton. „Alea iacta est – der Würfel ist gefallen“ sage ich und steige ein. In Chieming empfängt Bürgermeister Stefan Reichelt die neun Römer, die sich über seine Begrüßung freuen, sein Eis-Angebot aber ablehnen. Schon da plagen mich die Sandalen: Zu groß sind sie, ich schwimme darin wie ein römischer Lastkahn im aufgewühlten Chiemsee. Bald ist der Spann wund. Ich ändere den Schritt zu einem Stampfen, setze den ganzen Fuß auf, statt ihn abzurollen. Es wirkt. Aber wenige Hundert Meter später beginnt die Fußsohle zu pochen.

Die anderen haben‘s besser. Ihre Sandalen passen und sind eingelaufen. Vor allem sind sie Veteranen. Man kann sich die „Legio IX Hispana“ aus Seebruck als Club von Geschichtsbegeisterten vorstellen, „Interessensgemeinschaft“ sagt Ziereis dazu. Die meisten kommen gar nicht aus Seebruck, sie sind extra wegen des Marsches angereist. Sie kennen sich bestens aus, in römischer Geschichte wie mit römischer Ausrüstung.

Zwischen Kempten und Wien sind sie in den diversen Camps der Reenactment-Fans zu Hause. Reenactment, das ist die Lust am Nachspielen, hat seine Wurzeln aber in der experimentellen Archäologie: Man probiert aus, sieht, was funktioniert und was nicht. Unser Marsch dient natürlich auch der Werbung – für die Römerregion Chiemsee, den archäologischen Rundweg und das Römermuseum. Die Sonne gart den Kopf unter dem Helm. Der Begriff „Römertopf“ erhält eine neue Bedeutung. Eine Zeit lang trage ich ihn am Lederriemen vor der Brust, bequem ist das auch nicht.

Nach gefühlten fünf Kilometern meldet Ziereis, dass die ersten eineinhalb Kilometer geschafft seien. Auf dem Körper liegt einfach viel Last, ungünstig verteilt. Vor allem zu viel Eisen. Jeder Schritt klingt, als schüttle jemand eine Geldsammelbüchse. Losgegangen sind wir in einer Reihe. Mit den Kilometern wird die Formation lockerer. Irgendwann muss die Truppe warten, weil zwei Legionäre fehlen. Kinder haben ein Foto machen wollen. Überhaupt, die Leute. Das Auftauchen von uns Legionären sorgt für Aufsehen, Autos bleiben stehen, Menschen wollen Selfies. Viele grüßen angemessen mit Salve oder Ave. Eine Frau salutiert mit hinterkünftigem Humor. „Salve“, sagt sie, „auf geht‘s zum Teutoburger Wald.“ Jedenfalls, die Römer faszinieren immer noch. Warum?

Vielleicht, weil sie ein Riesenreich eroberten. Oder weil sie eine schillernde Zivilisation aufbauten. Oder weil Europa im Allgemeinen und speziell das südliche Bayern auf römischen Fundamenten stehen. „Weil sie uns so ähnlich sind“, vermutet Legionär Otto Marx aus Freilassing. Halstuch und Tunika sind längst schweißdurchtränkt. Zweimal hält die Truppe an, weil Christoph Wallner Sachen von der Forca gefallen sind, einmal ein Kleidersack, dann ein Topf. „Ein Volk sollte wissen, wann es besiegt ist“, sagt ein römischer Offizier in Film „Gladiator“ zu Russel Crowe. Ein Legionär sollte wissen, wann er platt ist, denke ich. Aber Centurio Ziereis kennt keine Gnade. Und treibt uns an. Wir legen einen Schritt zu. Lange Kilometer später überqueren wir die Alz. Daheim. Endlich.

Wenn wir wirkliche Legionäre auf dem Marsch wären, müssten wir nun ein Lager errichten, mit Wall und Graben. Stundenlange Plackerei nach stundenlangem Marsch. Ich hingegen darf auf die Bierbank sinken und Wasser trinken. Der Zweite Bürgermeister Norbert Maier empfängt uns mit Brot, Brezn, Wurst und Käse.

Die echte Legio IX Hispana zog im Laufe ihrer Geschichte von West nach Ost und von Ost nach West. Sie kämpfte in Frankreich, in Spanien, in Britannien, im heutigen Israel und im Nordosten der Türkei. Ihre Legionäre legten auf genagelten Sohlen Tausende Kilometer zurück. Durch Regen, Frost und Wüstenhitze. Wir sind lächerliche acht Kilometer marschiert. Das Viertel eines römischen Tagesmarsches. Wenn man so will, ein großer Schritt für mich, doch ein erbärmlich kleiner für die Legionäre des Imperiums.

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