Bad Aibling/Rosenheim – Ulrich Sibbers von der Tafel Bad Aibling ist verärgert: Immer wieder lehnen Tafeln im Landkreis die Annahme von Lebensmitteln ab, deren Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) kurz vor dem Ablauf steht oder bereits knapp überschritten ist. „Dabei sind diese noch genießbar“, ist der stellvertretende Leiter der Einrichtung überzeugt.
In Deutschland werden 313 Kilo Lebensmittel weggeworfen – pro Sekunde. Zu diesem Ergebnis kommt die Umweltstiftung WWF. Das Essen landet meistens unnötig im Müll. Dabei gibt es auch in der Bundesrepublik rund elf Millionen Menschen, die sich oft kein frisches Essen leisten können. Dieses Problem betrifft auch die Stadt und den Landkreis Rosenheim.
Elf Tafeln versorgen hier rund 1600 Menschen. Sie sind auf Lieferanten angewiesen, die qualitativ noch verwendbare, aber im Wirtschaftskreislauf nicht mehr gefragte Ware an sie weitergeben. Was Sibbers besonders wurmt: Vier bis fünf karitative Einrichtungen aus dem Landkreis würden die Annahme von Lebensmitteln aus gespendeten Großlieferungen, die die von der Aiblinger Bürgerstiftung getragene Tafel erhält, oftmals verweigern. Der Grund: Die Ware läuft bald ab oder hat bereits das MHD überschritten. „Dabei sind die Lebensmittel oft noch drei bis vier Wochen danach genießbar“, sagt Sibbers. Schließlich sei das Datum auch irrelevant dafür, ob Lebensmittel schlecht sind oder nicht. „Ab dem Mindesthaltbarkeitsdatum übernimmt lediglich der Hersteller keine Garantie mehr für Beschaffenheit und Geschmack.“ Die Ablehnung verkehre doch den Gedanken der Tafel, findet er. Seine Forderung: „Hirn einschalten, und genießbare Lebensmittel auch nach dem MHD verwenden.“
Wie lange Lebensmittel noch genießbar sind, da scheiden sich bei den Tafeln im Landkreis jedoch die Geister. Dagmar Badura, Leiterin der Kolbermoorer Tafel, hat auch schon einmal Ware abgelehnt, die im gegenseitigen Austausch von Lebensmitteln angeboten wurde, den die Tafeln pflegen. Der Grund: Für sie steht das Wohl ihrer Kunden an erster Stelle. „Ich habe letztlich die Verantwortung dafür, ob jemand krank wird oder nicht“, sagt die Leiterin der von der Diakonie geführten Einrichtung. Viele Kunden hätten kleine Kinder. Die strengen Maßstäbe, die Badura an die Qualität ihrer Lebensmittel zu Hause setzt, überträgt sie auch auf ihre Arbeit. „Was ich selber noch essen würde, gebe ich auch aus“, ist ihre Devise. Fisch wirft sie weg, wenn das MHD überschritten ist. Auch bei Wurst und Fleisch sind die Kolbermoorer streng. „Schinken sehe ich mir ganz genau an“, berichtet Badura. Was hingegen oftmals über das MHD hinaus ausgegeben werde, seien Milchprodukte wie Joghurt. In Raubling gelten die gleichen Maßstäbe wie in Kolbermoor. „MHD bedeutet ja nicht sofort, dass etwas schlecht ist“, weiß die dortige Tafelleiterin Brigitte Baumann. Die vom Roten Kreuz getragene Einrichtung ist bei Fisch, Fleisch und Wurst ebenfalls streng, bei Milchprodukten dagegen toleranter. „Grundsätzlich: Das, was ich zu Hause esse, gebe ich auch aus“, beschreibt auch Elisabeth Bartl, Leiterin der von der Diakonie geführten Tafel in Rosenheim, ihr Prinzip. „Wenn Sprossen über die Zeit sind, dann werden sie zum Beispiel giftig“, sagt sie. Sie würden dann sofort im Müll landen. Die Kunden – da sind sich die vier Tafeln einig – hätten sich bisher so gut wie noch nie über ein abgelaufenes MHD beschwert. Sie seien froh über das Warenangebot. Auch über den gut funktionierenden gegenseitigen Austausch freuen sich die Tafeln. Das bestätigten alle Befragten den OVB-Heimatzeitungen. „Das klappt wirklich wunderbar“, meinen Baumann und Bartl. „Die Aiblinger haben oft reichlich Angebot. Ohne sie wären wir anderen oft aufgeschmissen“, ergänzt Dagmar Badura.
BU: Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist bei dem Produkt, das Ulrich Sibbers in der Hand hält, bereits abgelaufen. Der stellvertretende Leiter der Bad Aiblinger Tafel kritisiert, dass wegen einer zu strengen Auslegung des Mindesthaltbarkeitsdatums zu viele für die Tafeln bestimmten Lebensmittel im Müll landen. Foto: Schlecker