Viele Geldhäuser haben in der Nullzinsphase Strafzinsen von ihren Kunden erhoben. Bei Spareinlagen war das unzulässig. Kunden dürften jetzt ein Recht auf Erstattung haben. © imago/Sven Simon
Negativzinsen auf Spareinlagen waren ein jahrelanges Streitthema zwischen Banken und Verbraucherschützern. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun ein Machtwort gesprochen. Während die Geldhäuser sich noch bedeckt halten, raten Verbraucherschützer zur Tat.
Worum ging es?
Zwischen Juni 2014 und Juli 2022 hat die Europäische Zentralbank Negativzinsen erhoben, wenn Banken die Einlagen ihrer Kunden bei ihr geparkt haben. In der Spitze waren das 0,5 Prozent. Einige Banken haben diese „Verwahrentgelte“ oder Strafzinsen – wenn auch mit relativ hohen Freibeträgen – an ihre Kunden weitergereicht. Dagegen hatten mehrere Verbraucherzentralen in vier stellvertretenden Verfahren geklagt. Der BGH hat ihnen jetzt in vielen Fällen Recht gegeben.
Was genau hat der BGH geurteilt?
Grundsätzlich sind Strafzinsen auf Sparkontenund Tagesgelderrechtswidrig. „Einlagen auf Tagesgeldkonten und Sparkonten dienen nicht nur der sicheren Verwahrung von Geldern, sondern darüber hinaus auch Anlage- und Sparzwecken“, heißt es in der Urteilsbegründung aus Karlsruhe. „Mit der Erhebung eines laufzeitabhängigen Verwahrentgelts in Höhe von 0,5 Prozent p.a. verlieren die Tagesgeldkonten allerdings gänzlich ihren Spar- und Anlagezweck.“
Komplexer ist der Fall bei Girokonten. Der BGH hält Verwahrentgelte hier grundsätzlich für möglich. In den beklagten Fällen seien die Klauseln aber ungültig. Das liege an der ungenauen Formulierung: „Unklar ist dabei vor allem, ob die Berechnung des Verwahrentgelts taggenau erfolgen soll und bis zu welchem Zeitpunkt Tagesumsätze auf den Girokonten bei der Berechnung des maßgebenden Guthabensaldos berücksichtigt werden sollen.“
Besteht ein Recht auf Rückzahlung?
Dazu gibt es keine klare Auskunft der Richter. Die entsprechende Klage wurde aus Formgründen zurückgewiesen: Die Verbraucherzentralen hätten die betroffenen Kunden genau benennen müssen. Die Verbraucherzentrale Bundesverband ist aber sicher: „Im Fall von Spar- und Tagesgeldkonten ist der Fall klar: Verbraucher haben Anspruch auf die Erstattung von Negativzinsen“, so Fachmann David Bode gegenüber unserer Zeitung. Bei den Girokonten komme es darauf an, wie die Geschäftsbedingungen formuliert sind: „Hier haben Verbraucher Ansprüche, wenn die Verzinsung so unklar geregelt ist, wie es vom BGH beanstandet wurde“, so Bode.
Wie bekommt man sein Geld zurück?
„Betroffene sollten auf ihren Kontoauszügen prüfen, ob sie Zinsen zu Unrecht bezahlt haben“, erklärt Verbraucherschützer Bode. Für Verbraucher bestehe zwar keine Nachweispflicht, „es macht aber im eigenen Interesse Sinn, die entsprechenden Kontoauszüge zu sammeln“. Die Rückforderung sollte „mit Verweis auf das BGH-Urteil per Post oder Mail bei der Bank eingehen und die genaue Höhe der Forderung genau benennen. Sollte das nicht möglich sein, weil entweder keine Unterlagen mehr vorliegen oder eine Bezifferung zu schwierig erscheint, „steht Verbrauchern auch ein gesetzlicher Auskunftsanspruch gegenüber ihrer Bank zu.“
Das Aktenzeichen für das Tagesgeldurteil des BGH lautet XI ZR 161/23, das für Spareinlagen XI ZR 183/23. Die Urteile für die intransparenten und damit ungültigen Strafzinsen auf Girokonten stammen aus den Verfahren XI ZR 61/23, XI ZR 65/23 und XI ZR 161/23.
„Sollte die Bank sich querstellen, können Verbraucher sich gerne bei den Verbraucherzentralen beraten lassen“, sagt David Bode. „Wir bereiten uns darauf vor, die Ansprüche im Zweifel einzuklagen.“
Wann verjähren die Ansprüche?
Verbraucherschützer David Bode rechnet mindestens mit einer Verjährungsfrist von drei Jahren. Die beginne mit dem Ende des Jahres, in dem die Ansprüche entstanden. „Da aber auch erst seit gestern bekannt ist, dass diese Entgelte unzulässig sind, kann unter Umständen auch von weiter zurückliegenden Ansprüchen ausgegangen werden“, so Bode.
Was sagen die Banken?
Die „Deutsche Kreditwirtschaft“, der Spitzenverband der öffentlichen, privaten und Genossenschaftsbanken, hielt sich unserer Zeitung gegenüber bedeckt: Verschiedene „verbraucherrechtliche Rechtsfragen“, die zuvor umstritten waren, seien nun „höchstrichterlich entschieden“ worden. Das dürfte ein Eingeständnis in Sachen Spar- und Tagesgeldkonten sein. Gleichzeitig verwies der Verband darauf, dass Verwahrungsentgelte auf Girokonten grundsätzlich zulässig sind. Genaueres wollen die Bankenvertreter aber erst sagen, wenn die Entscheidungsgründe des BGH im Detail in einigen Wochen vorliegen. Darauf verweist auch die Stadtsparkasse München, das kundenstärkste Kreditinstitut der Stadt. Die Sparkasse hatte Negativzinsen auf Girokonten „in Einzelfällen ab einem Giroguthaben von 50 000 Euro beziehungsweise 100 000 Euro erhoben“. Auf die Frage, ob Kunden der Stadtsparkasse Negativzinsen auf Spareinlagen gezahlt hätten, sagte eine Sprecherin: „Inwieweit dies auf die Stadtsparkasse München zutreffen könnte, lässt sich erst sagen, wenn die Urteilsbegründung vorliegt.“ Allerdings war der BGH in seinen ersten Ausführungen bereits recht klar: Negativzinsen auf Spareinlagen sind unzulässig.
Was wurde noch entschieden?
Ein Nebenschauplatz war die Klage um Gebühren für eine Bankkarte oder PIN. Der BGH hatte eine entsprechende Gebührenklausel für unwirksam erklärt. Die Bank sei verpflichtet, Kunden genau darüber aufzuklären, in welchen Fällen sie gesetzlich verpflichtet ist, neue Karten und PINs auszustellen und wann die Kunden dafür bezahlen müssen. Ist die Trennlinie für Kunden nicht klar erkennbar, sind die Gebühren ungültig. Auch hier dürfte sich für Betroffene ein Recht auf Erstattung ergeben.
Wie viele sind betroffen?
Einer Verivox-Umfrage zufolge zahlten 13 Prozent von 1023 Befragten Negativzinsen an ihre Bank, also jeder achte. Demnach lag der Anteil bei Gutverdienern mit einem Nettoeinkommen ab 3000 Euro bei 15 Prozent, der Anteil unter den Befragten mit niedrigen Einkommen unter 2000 Euro bei sieben Prozent. In der Umfrage gaben 88 Prozent der betroffenen Befragten an, die Strafzinsen zurückfordern zu wollen, sollte der BGH den Weg dafür freimachen. Wie viele das tun, bleibt offen.