Sitzen. Sehen. Hören. Staunen

von Redaktion

Musikfest Nachtstücke: Beim Kammerkonzert im Haager Pfarrsaal wurden Perlen der Spätromantik aufgereiht

Haag – Geschlagene 22 Minuten Schwerstarbeit: Auswendig spielte Jakob Spahn Benjamin Brittens CelloSuite Nr. 3 op. 87 vor einem aufmerksam zuhörenden Publikum im akustisch nicht eben für derlei Klassik prädestinierten Pfarrsaal von Haag. Dass sein in den Mittelpunkt des Kammerkonzerts im Rahmen des Musikfests „Nachtstücke“ gestelltes Solo nicht nur Bewunderung, sondern geradezu Staunen erregte, verdankt sich nicht zuletzt seiner vorausgeschickten Erläuterung des Werkes. Es baue, 1971 geschrieben und Slava Rostropowitsch geschenkt, auf vier kleinen Themen auf, begonnen mit dem von Tschaikowsky inspirierten Lied „Unter dem Apfelbaum“ und endend mit einer russisch-orthodoxen Hymne.

Es war für den noch so hingebungsvoll Zuhörenden weder leicht noch kostete es ihn nur ein geringes Maß an Konzentration, um die meist ineinander übergehenden, das Dialogische in seinem mal aufregenden, mal beschwichtigenden Gestus zu begreifen. Der 35-jährige Solo-Cellist der Bayerischen Staatsoper erwies sich – wie schon im Vorjahr in Raitenhaslach und Zangberg – als feinsinniger Virtuose mit dem Hang zur Unterkühlung ohne Kalkül. Dabei kam ihm Benjamin Brittens Kargheit in Sachen Gefühligkeit zu passe.

Bei Leos Janáceks dreisätzigem „Märchen“ (1911/ 1923) übernahm Jakob Spahn den Part des Prinzen, sein Partner am Klavier Michael Frohnmeyer den der Dame, die wohl um des Prinzen Gunst wirbt. Hat man recht gehört, dass – nach einer unerwarteten Zäsur – der Prinz den drängenden Fragen der Dame schließlich nachgibt und er – vom Violoncello durchweg melancholisch geschildert – dann aber quietschvergnügt und selbstbewusst davonschreitet? Wie vorteilhaft, dass jeder sich denken kann, was er bei solch „märchenhafter“ Offenheit im Moment des musikalischen Geschehens empfindet.

Die Stunde des Pianisten war mit Dmitri Schostakowitschs Sonate für Cello und Klavier, komponiert 1934, gekommen. Hartes Tasteneingreifen – vom Cello säuselnd umgarnt. Der St. Petersburger, der in Moskau begraben liegt, hat seine (spät-) russische Romantik-Ader in dieses feine, von Trübnis und Aufgewühltheit bestimmte Opus 40 gelegt, und zwar für zwei Partner, die gleichberechtigt auftreten, sich also nicht in einer Dominanz- und Devotheits-Pose aufgehobenen Manier ergänzen. So jedenfalls kam es in Spahn/Frohnmeyers Interpretation rüber. Das Klavier: füllig, aufgebracht, dramatisch. Das Cello: konsequent betörend, die treibende Kraft. Bis in die Gänsehaut erzeugenden Glissandi hinein: fulminant. Das Ganze mit einem gewagten Überschuss an Tollkühnheit. Kein Wunder, dass das erste, allzu frühe spontane „Hu!“ aus dem Publikum schon nach dem 2. Allegro-Satz kam, dem einige weitere, allerdings kontrollierte, folgen sollten.

Spätromantische Perlen reihte das Duo des Abends auf. Und legte sie einem Publikum zu Füßen, das sie dankbar entgegennahm. Wohl wissend, dass es eigentlich ein etwas anderes Programm als vorgesehen aufgetischt bekam. Den ursprünglich verpflichteten Violinisten Rudens Turku erwischte eine Mittelohrentzündung in Lissabon. Auf die Schnelle sich umzustellen, war weder für Frohnmeyer noch für Spahn ein Kinderspiel. Umso mehr schätzte das Publikum die neue Abfolge. Es konnte sitzen, sehen, hören und – staunen.

Und durfte sich freuen, neben dem Prélude und dem Danse Orientale, zwei Stücken für Cello und Klavier op. 2 (1892) als Zugabe die berühmte, herzerweichende „Vocalise“ von Sergei Rachmaninoff geschenkt zu bekommen. Ein vielgespieltes, 1915 komponiertes Sechs-Minuten-Stück, das es als letzte der insgesamt 14Romanzen in mehrfacher Abwandlung gibt, zum Beispiel für Sopran und Chor, ursprünglich für Orchester gefasst. Frohnmeyers Klavier war, zusammen mit Jakob Spahns Violoncello dazu angetan, dem Triefen auszuweichen und stattdessen der Geradheit der freilich nicht wenig einlullenden Melodie den Vortritt zu lassen.

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