Aschau im Chiemgau – Beim großen Abschluss-Konzert des „Festivo“ im August 2019 war die Welt noch in Ordnung. Man verabschiedete sich voneinander, wünschte sich einen schönen Rest-Sommer und freute sich auf ein Wiedersehen im nächsten Jahr. Niemand ahnte, dass es coronabedingt erst zwei Jahre später dazu kommen sollte. Ein Jahr ohne „Festivo“: Das hat deutliche Spuren hinterlassen, so wie die Pandemie selber.
„Eine tiefe
und stille Lücke“
In seiner Rede zum jetzigen ersten „Festivo“-Konzert sprach der Aschauer Bürgermeister Simon Frank von einer „tiefen und stillen Lücke“. Er betonte, wie wichtig die Kultur für die Wirtschaft und den Tourismus sei. In der Pandemie habe die Kunst und Kultur zu den „mit Abstand am stärksten betroffenen Branchen“ gezählt, so Frank. Die Pandemie habe leider auch den in der Verfassung des Freistaats klar definierten „Kulturstaat Bayern“ relativiert.
Ein derartiges Bekenntnis für die Kunst und Kultur hört man in Corona-Zeiten von politischen Amtsträgern viel zu selten. Die Gemeinde sei stolz auf „Festivo“, so Frank weiter. Wie weit dieser Stolz im Zweifel konkret gehen würde, sagte er zwar öffentlich nicht. Dafür aber konnte sich Simon bei seinem ersten „Festivo“-Konzert seit seinem Amtsantritt im Mai 2020 selbst ein Bild davon machen, wie sehr die Menschen in der Region diese Reihe lieben.
Trotz der strengen Auflagen samt Maskenpflicht am Platz, Abständen und reduzierter Bestuhlung waren alle verfügbaren Karten verkauft. Unter den Besuchern herrschte sichtbar große Freude, dass es mit „Festivo“ wieder losgeht: wenn auch in anderer Form. Aus dem sommerlichen Festival wird vorerst eine Reihe, bei der die Konzerte bis in den April gestreckt werden. Noch dazu finden alle Konzerte ausschließlich in der Festhalle Hohenaschau statt.
Damit möchte „Festivo“ flexibel bleiben, um auf alle möglichen Corona-Auflagen reagieren zu können. An der gewohnten „Festivo“-Qualität ändert sich hingegen nichts. Genau das zeigte der Startschuss mit „Concerto Köln“. Schon 2015 war die Spitzentruppe für historische Aufführungspraxis zu erleben. Jetzt kamen sie ohne zusätzlichen Klassik-Star, und das brauchen sie auch nicht: weil sie aus sich heraus glänzen.
Schon in den zwei Opern-Vorspielen von Antonio Vivaldi offenbarte sich, wie sehr die Kölner auf Augenhöhe miteinander musizieren. Hier drängelt sich niemand eitel in den Vordergrund. Diese Haltung passt vortrefflich zu „Festivo“. Ob das „Concerto Grosso“ op. 6 Nr. 2, das „Concerto a Quattro“ Nr. 1 von Baldasare Galuppi oder Vivaldis „Concerto ripeno“ RV 158: Hier präsentierten sich durchwegs Spitzensolisten, überaus effekt- und affektreich.
Ein Feuerwerk an Energie war das Ergebnis, obwohl alles präzise und kenntnisreich durchdrungen wurde: die Artikulation genauso wie die Phrasierung. Wer Originalklang mit Trockenbrot gleichsetzt, hat die Kölner noch nicht gehört. Natürlich spielten die Streicher auf Darmsaiten, noch dazu mit Barock-Bogen. Auch bei den Solo-Konzerten präsentierten sich Musiker der Truppe.
So haben Alexander Scherf am Cello und Rebecca Mertens am Fagott das Doppelkonzert RV 409 von Vivaldi gestaltet. In Vivaldis Flötenkonzert RV 433 brillierte hingegen Cordula Breuer: Wer noch ein Trauma vom kollektiven Blockflöten-Getröte aus der Schulzeit hat, konnte hören, wie viele Potenziale in diesem Holzrohr stecken. Ein hochvirtuoses Akrobatenstück wurde das berühmte Violinkonzert „Der Großmogul“ von Vivaldi.
Mit beiläufiger
Leichtigkeit
Mit fast schon beiläufiger Leichtigkeit nahm Konzertmeister Evgeny Sviridov die wahnwitzigen Arpeggien, Verzierungen und Doppelgriff-Passagen. Spätestens da gab es in der Festhalle Hohenaschau kein Halten mehr. Als Zugabe der zweite Satz aus dem „Winter“ der „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi: „zur Abkühlung“, wie Sviridov sagte. Hoffen wir mal, dass diese Abkühlung im Herbst nicht in „Lockdown“-Gestalt kommt.
Bei „Festivo“ geht es am 8. August mit dem bekannten Tenor Ian Bostridge weiter.