Erl – Taucht der Name „Klangforum Wien“ in Konzertprogrammen auf, schlägt das Herz des Liebhabers höher: Besser und authentischer kann man die Musik des 20. Jahrhunderts bis hin zur postmodernen Avantgarde nicht hören! Zudem agierte als Dirigent Emilio Pomárico mit empathischer Behutsamkeit und sensibler Präzision. Selbst von seinen Musikern wurde er am Schluss mit enthusiastischem Beifall bedacht!
Arnold Schönberg und Paul Hindemith gelten immer noch als „Bürgerschreck“. Das große Publikum meidet sie lieber; es fährt wohl mehr auf kuschelweiche Emotionalität ab. Beachtlich aber, dass alle „modernen“ Werke des Abends aus dem ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts stammen, also locker ihre 100 Jahre auf dem Buckel haben.
Das Festspielpublikum wusste, was zu erwarten war: Es herrschte atemlose Stille; heftiger Applaus dankte für die horrende Leistung des Klangforums und war durchmischt mit begeisterten Bravo-Rufen. Und es wusste auch, dass man nicht nach jedem effektvollen Satzschluss klatschen muss.
Startschuss mit Hindemith: Unter der drögen Bezeichnung „Kammermusik op.24, Nr.1“ verbirgt sich ein geniales Feuerwerk an Witz, Übermut und geistvollen Knalleffekten. Doch nie wird der damals 26-jährige Komponist platt. Seine Instrumentations-Kunst ist bewundernswert, und die Logik trotz aller Kapriolen schlüssig. Verkopft? Im Gegenteil! Im langsamen Satz „Quartett. Sehr langsam und mit Ausdruck“ zaubert Hindemith eine romantische Atmosphäre, ohne romantische Klischees zu bedienen. Allein das betörende Wechselspiel der Holzbläser bewies schon die menschliche Reife des jungen „Wilden“.
„…mit jedem Werk anderswohin gelangen“, war das Postulat Anton Weberns. Arnold Schönberg ist das mit „Fünf Orchesterstücke op.16“ bravourös gelungen. Auch hier lässt der sachliche Titel nichts von der Sprengkraft des Inhalts vermuten. Solche Musik live zu erleben, ist Genuss und Hilfestellung zugleich: Die Motive, Phrasen, jähen Steigerungen, das Innehalten des Klangflusses ist nun auch optisch mitzuverfolgen und erleichtert so das Verständnis. Die fein abgestuften Farbflächen oder -tupfen sind ein zusätzliches Plus. Ganz extrem wird dies im berühmten dritten Satz mit der Bezeichnung „Farben“ deutlich: Als ob ein wallendes Seidentuch am Hörer vorbeigezogen würde, so leuchten, ohne eigentliche Melodie, ohne Rhythmus, die Klangfarben auf.
Ferruccio Busoni, als Komponist „zwischen den Zeiten“ ein Stiefkind der Musikgeschichte, kam mit „Berceuse élégiaque op.42“ zu Wort, einem gedämpften, von Trauer umwobenen, dabei klangsatten Werk. Die solistisch besetzten Streicher woben die Linien so dicht, als wären sie ein Kammerorchester.
Der letzte Abschnitt von Gustav Mahlers „Das Lied von der Erde“ wurde zum Abgesang eines Konzerts, dessen Programm bewusst die stilistische Vielfalt der Musik aus dem frühen 20. Jahrhundert dokumentierte und doch nicht Beliebiges aneinanderreihte. Mahlers Riesenorchester war zugestutzt auf die Erfordernisse des Klangforums. Das geriet nicht zum Nachteil. Durch die Reduzierung des Apparats wurde von vorneherein jede Schwelgerei gebannt und das „Innenleben“ der Mahlerschen Musik kam glasklar, ja kristallin zum Vorschein.
Die Entstehung des Werks ist von tragischen Umständen geprägt, die besonders im „Abschied“ ergreifenden Ausdruck finden. Die junge ukrainische Mezzosopranistin Christina Doletska versuchte nicht, die dunkle Trauer noch weiter zu forcieren, sondern gab diesem Abschied mit ihrer seidenweichen und in großer Höhe zart ansetzenden Stimme eine freundliche Note. Im Text heißt es: „Mir war auf dieser Welt das Glück nicht hold!“ Dem Publikum schon. An diesem Abend ganz gewiss! Walther Prokop