Rosenheim – Wenige Monate vor der Corona-Pandemie veröffentlichte Igor Levit die Einspielung der 32 Beethoven-Klaviersonaten auf CD. Sie wurden meist hochgelobt, nur selten heftig kritisiert. Er erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen.
In der Pandemie dann stellte Levit diese Sonaten in einem bemerkenswerten BR-Podcast vor, er gab Konzerte mit der Musik Beethovens und anderer Komponisten aus seinem Wohnzimmer und übertrug sie live im Internet, 53-mal. So wurden Levit und Beethoven für viele zum Corona-Begleiter. Und zur Musik der Hoffnung.
Auf das
Äußerste verdichtet
Für sein Konzert im Kuko zu dessen 40-jährigen Bestehen hat Levit die drei letzten Klaviersonaten Beethovens gewählt, zusammen eine gute Stunde Musik. Diese sehr intensive Stunde verdichtet der 35-Jährige aufs Äußerste, indem er die drei Werke nahezu ohne Bruchstellen ineinanderfließen lässt. Aus den Sonaten 30 und 31 wird eine, die 32. spielt er nach nur wenigen Sekunden Zwischenapplaus und kurzer Verbeugung.
So dicht, so komprimiert wie die Dramaturgie ist Levits Spiel. Er verschmilzt mit dem Steinway, kommuniziert mit der Musik, mit Beethoven selbst? Er singt tonlos mit, deutet mit dem Finger, dirigiert, streichelt die Tasten vor einem neuen Satz, rutscht auf seinem Sitz hin und her, krümmt und streckt sich, lächelt, trauert.
Es sind starke Gefühle, die Beethoven mit seiner Musik weckt, nicht nur beim Pianisten. Denn die drei letzten Sonaten Beethovens führen direkt zurück ins Leben. Sie sind eine Hommage an die Schönheit, an die Zuversicht. Nicht so komplex wie die vorausgehende, alles Maß sprengende Hammerklaviersonate, nicht so voller Schmerz wie die Pathétique, nicht so den Naturgewalten unterworfen wie die Sturm-Sonate. In den letzten drei Sonaten scheint Beethoven einen Schlussstrich zu ziehen unter das, was an Leid und Schmerz war, und zugleich die Tür zu etwas Neuem aufzustoßen.
Am deutlichsten wird dies in seiner letzten Sonate, der 32. Das massive, theatralische e-Moll-Thema, ein direkter Überfall von Wut und Verzweiflung endet abrupt in wunderbarer Schönheit. Levit vermeidet es, das schroffe Thema allzu massiv, zu zerstörerisch zu spielen. Er gibt ihm Wucht, aber keine Ausweglosigkeit, Dominanz, aber keine Übermacht. So bleibt der Spalt der Tür offen, die Beethoven für den letzten der Sonatensätze vorbereitet hat.
Strahlend hell
und lebensfroh
Der folgt hell, strahlend, lebensfroh. Er hebt die Düsternis des ersten Satzes auf, macht aus Wut Zuversicht, aus Verzweiflung Hoffnung. Levits Virtuosität, seine Liebe zu Trillern und schnellen Läufen, seine Hingabe lassen die Arietta umso heller erstrahlen.
Beethovens Sonaten und Levits Spiel waren nicht nur in den Pandemie-Jahren Begleiter, sie sind auch während des ersehnten Abklingens Trostspender, Hoffnungszeichen. Das wirkt im Kuko umso deutlicher, denn Levit verweigert jede Zugabe. Nach einer guten Stunde nimmt er den Applaus entgegen und geht. Was aber im ersten Moment zu abgekürzt, zu unvollendet erscheint, wird in der Rückschau schlüssig: Der Rückkehr ins Leben, dem Wiedererstehen der Hoffnung muss keine Zugabe folgen.