Im Auge des Sturms

Ein Teufelsgeiger (Dmitry Smirnov links vom Dirigenten) und ein kniender Dirigent (Giovanni Antonini) entfachen zusammen mit „Il Giardiono Armonico“ einen „tempesta di mare“.Foto janka
„Il Giardiono Armonico“ mit Giovanni Antonini bei den Herrenchiemsee Festspielen
Herrenchiemsee – Giovanni Antonini, Leiter des Ensembles „Il Giardino Armonico“, schlank und weißhaarig, stürmt auf die Bühne des Spiegelsaales auf Schloss Herrenchiemsee und entfacht einen wahren Wirbelsturm, wenn nicht sogar Orkan, mit reiner Barockmusik von Vivaldi, Locatelli und Händel.
Aufwühlend
bis zum Ende
„La tempesta di mare“ ist das Motto und aufwühlend ist dieses Konzert von Beginn bis zum Ende. Antonini feuert seine im Stehen spielenden Musiker mit wilden, aber doch auch immer eleganten Gesten und glühenden Augen beständig an, geht oft in die Knie, dirigiert mit dem ganzen Körper und lässt nie nach an Intensität, Glut und Verve. Ein Allegro ist bei ihm immer ein Presto und ein Presto ein Prestissimo. Die Frage, ob man Vivaldi so unter Tempodruck setzen muss, wird durch den Klang- und Temposturm einfach hinweggefegt. „La tempesta di mare“ wird hier zum „tempesta di Violini“.
Blitzen gleich zucken heftige Akzente auf, werden Akkorde oft harsch auf den Saiten angerissen, dynamische Abstufungen ereignen sich auf engstem Raum, es herrscht Dauererregung, die Tutti sind wie Donnerschläge, Geigenkaskaden stürzen hernieder – und die Musiker genießen selber diesen „tempesta“, diesen Klangsturm. Aufregende Barockmusik ist das mit Höchstspannung in jeder Phrase. Kein Wunder, dass der Stimmführer Dmitry Smirnov dauernd seine Geige neu stimmen und die neue Stimmung seinen Mitstreitern mitteilen muss. Kleine Ruhepole, gleichsam Augen im Sturm, sind die langsamen Sätze, die durch Aushalten der Dissonanzen in zehrende Spannung gesetzt werden. Mit hübscher Lautenornamentik geschmückt ist das duftig-leise Andante im e-moll-Concerto RV 134, und als Giovanni Antonini im Flöten-Concerto C-Dur RV 443 selber sich das Sopranino greift, schafft er mit erstaunlich langem Atem im Largo einen einzigen großen Gesang – und adelt damit dieses Largo, das wegen seiner Lieblichkeit so oft in Werbefilmen verwendet wird. Die schnellen Sätze dieses Flötenkonzerts spielt Antonini hochvirtuos und so rasch, dass alles wie ein anmutiges melodisches Vogelgezwitscher mit Turbobeschleunigung wirkt. Klagende Grabmusik dann in großer Ruhe war das Adagio in Vivaldis Sinfonia b-Moll „Al Santo Sepolcro“, geprägt diesmal von der Altblockflöte. Das Concerto grosso e-Moll op. 6/3 von Händel hörte sich in dieser Umgebung pompös, aber viel weniger aufregend an. Große Aufregung verursachte dafür das Violinkonzert g-Moll op.3/6 von Pietro Antonio Locatelli, dem barocken Pionier der modernen Violintechnik. Ganz andere Orchesterfarben malt er, vor allem galt Locatelli als Vorläufer des Teufelsgeigers Paganini und auch von The Who – weil auch er im Rufe stand, seine Instrumente zu Tode zu streichen. Ein Zeitgenosse verglich Locatellis Spiel gar mit einem Erdbeben. Dmitry Smirnov entzündete da ein Feuerwerk von Spieltechniken, Melodiesprüngen, überraschenden Phrasen und Tempowechseln. Doppelgriffe, feine Flageolett-Klanggespinste, Springbogentechnik, Spiccato, Staccato, rasende Tonskalen, Martelé (das ist ein Bogenstrich wie „gehämmert“), Tonrepetitionen:
Akrobatische Kadenzen
Nichts macht dem Sologeiger Mühe, der mit geradezu akrobatischen Kadenzen glänzte und für sein Spiel einen tobenden „tempesta di Applausi“ einheimste, zusammen mit dem ganzen Ensemble, das sich mit zwei weiteren Sturm-Musiken bedankte.