Der Monolog eines Mitläufers

von Redaktion

Peter Wiegand liest „Der Herr Karl“ in der Theaterinsel Rosenheim

Rosenheim – In der Darstellung des Wiener Opportunisten wurde mit dem Einpersonenstück „Der Herr Karl“ die Seele des Durchschnitts-Österreichers getroffen. Den Text, 1961 von Carl Merz verfasst und von Helmut Qualtinger genial verkörpert, brachte jetzt der Schauspieler und Rezitator Peter Wiegand in der Theaterinsel Rosenheim auf die Bühne. Aufgelockert wurde der skurrile Monolog mit Liedern, die Wiegand sang und auf der Gitarre begleitete. Christian Ludwig Mayer las die Einführung und spielte Akkordeon.

Der Feinkostmagazineur „Herr Karl“ erzählt einem „jungen Menschen“ seine Lebensgeschichte, während er bei der Arbeit im Lager eines Feinkostgeschäftes sitzt. Dabei entpuppt sich der Erzähler zunehmend als opportunistischer Kleinbürger, der sich im wechselhaften Gang der österreichischen Geschichte vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zum Ende der Besatzungszeit in den 1950er-Jahren als Mitläufer durchs Leben gewurschtelt hat.

„Damals war I noch a junger Mensch“, erklärt der Herr Karl halb entschuldigend, halb resignativ. Auf den ersten Blick ist er als typischer Wiener „katholisch“ und „freiheitsliebend“. Auch äußerlich erscheint Herr Karl als ehrlicher, naiver Mensch mit einem freundlichen Wesen. Doch nach und nach erfährt der Zuschauer von dem Opportunisten, der sich hinter dieser Fassade der Gemütlichkeit verbirgt. „Bei mir war immer das Herz dabei“, behauptet der Herr Karl. Seine Frauen aber lässt er sitzen. Gern geht er mit den Madln in die Donauauen, aber das Wasser, das ängstigt ihn: Er träumt, dass jemand den Stöpsel aus seiner Luftmatratze zieht. Der unsportliche Herr Karl wird sogar Kassierer im Sportverein.

Stets ändert der Herr Karl seine politische Meinung, um Vorteile zu erlangen, behauptet aber allen Ernstes: „Meine Freiheit, die könnt ich nie aufgeben.“ Als 1934 im Ständestaat die Diktatur errichtet wird, wechselt er, der bis dahin Sozialist war, zu den Christlichsozialen. Nach dem „Anschluss Österreichs“ 1938 geht er über zu den Nationalsozialisten. Auf dem Heldenplatz gab’s einen Taumel, „ein riesiger Heuriger“, so erinnert sich der Herr Karl.

„Ich bin einer fürs Moderne“, singt der Herr Karl selbstzufrieden. Er schätzt sich selber als „Mann von Welt“ ein, der Zuschauer lernt ihn aufgrund des Verhaltens gegenüber seinen Mitmenschen jedoch als Mitläufer und Drückeberger kennen.

Peter Wiegand in der Rolle des Herrn Karl mit Hut und grauer Jacke wirkte überzeugend verkommen. Den opportunistischen, seelenkalten Egoisten nahm man dem sympathischen Schauspieler gleichwohl nur bedingt ab. Im Vergleich zum korpulenten und behäbigen Qualtinger fehlte dem hageren Wiegand etwas das Phlegmatisch-Durchtriebene, Hinterfotzige. Sein grantelndes Wienerisch konnte man aber meist gut verstehen.

Amüsant war die Szene, als Wiegand den Besen falsch trug, von erheiternder Wurschtigkeit, wie er sich im Laden bewegte und seinen Tee trank. Wiegand gelang es glaubwürdig, den Typus des Wiener Kleinbürgers der Nachkriegszeit noch einmal lebendig werden zu lassen. Das Publikum im ausverkauften kleinen Theaterraum spendete beiden Akteuren für ihre Darbietung anhaltenden Applaus. Georg Füchtner

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