Kufstein – Der Wettergott meinte es entgegen aller Voraussagen gut mit den rund 2000 Premierengästen der nahezu ausverkauften Aufführung des Musicals „West Side Story“ im Rahmen des Musical-Sommers Kufstein, der in diesem Jahr bereits in die 17. Runde geht.
Leonard Bernsteins Meisterwerk in der deutschen Fassung von Frank Thannhäuser und Nico Rabenald mit Songtexten von Stephen Sondheim wurde von 34 Künstlern unter der Regie von Vanni Viscusi mit klangvoller Unterstützung durch das hochkarätig besetzte Festivalorchester unter der Leitung des Bernstein-Schülers Oswald Sallaberger überzeugend und fesselnd inszeniert.
Nichts von seiner
Aktualität verloren
1957 in New York uraufgeführt und 1961 erstmals verfilmt und mit zehn Oscars ausgezeichnet, ist es bis heute einer der wohl erfolgreichsten Musical-Klassiker. Mitverantwortlich dafür zweifelsohne die zeitlosen, existenziellen Themen, die trotz häufig eingestreuter komödiantischer Szenen im Vordergrund stehen: Machtkämpfe, Vorurteile, Ausgrenzung, Gewalt – aber auch der Wunsch nach Zugehörigkeit und die große Liebe über alle Widerstände hinweg. Bernstein und Choreograf Jerome Robbins verpflanzten diese brisante thematische Mischung aus William Shakespeares Liebestragödie „Romeo und Julia“ ins New York City der 1950er-Jahre, wo zwischen den rivalisierenden Jugendgangs der amerikanischen Jets und der puerto-ricanischen Sharks ein erbitterter Kampf um die Vorherrschaft auf den Straßen tobt.
Im Zentrum der Handlung stehen Maria, die Schwester des Anführers Bernardo der puerto-ricanischen Sharks, sowie Tony, ehemaliger Anführer der rivalisierenden Jets. Bei einer Tanzveranstaltung begegnen sie sich und verlieben sich auf den ersten Blick ineinander. Maria, überzeugend und sympathisch verkörpert von der Niederländerin Margot Wardlaw Baars, und Tony, so sanft und leise gespielt vom Österreicher Nicolas Vinzenz, dass man ihm kaum zutraut, der ehemalige Bandenführer der Jets zu sein, schlagen sofort die Zweifel und der Widerstand ihrer jeweiligen Gruppe ob ihrer Liebe entgegen.
Zu allem Überfluss und zum Missfallen der Gesetzeshüter Leutnant Schrank (betont lässig, aber bestimmt Mario Zuber aus Bayreuth) und dessen etwas trotteligem Gehilfen Krupke (Benedikt Zimmermann, München) spitzt sich parallel dazu der Konflikt über die Vorherrschaft zwischen den Gangs zu.
Der neue Jets-Anführer Riff (kämpferisch verkörpert durch Niklas Schurz) plant, die ständigen Reibereien durch einen Kampf zu entscheiden, bei dem auch der ehemalige Anführer Tony, sein enger Freund, anwesend sein soll.
Dieser erwartet „etwas Großes“ (gefühlvolles Solo: Something’s Coming), was ihm über seinen Job im Drugstore und das Leben außerhalb der Gang hinaus Erfüllung bescheren soll und tatsächlich als seine große Liebe Maria bei der Tanzveranstaltung in sein Leben tritt. Auf dieser wirbelt das gesamte Ensemble farbenfroh über die Bühne, optisch deutlich erkennbar die jeweilige Zugehörigkeit zu ihrer ethnischen Gruppe – für die Jets im 50er-Jahre-Stil mit Pünktchen-Kleidchen, bei den Sharks lateinamerikanische Eleganz und knallige Farben, musikalisch charakterisiert einerseits durch moderne amerikanische Musik und temperamentvollen Mambo mit Hebefiguren andererseits.
Enttäuschender
amerikanischer Traum
Tony und Maria treffen sich heimlich in der zentralen Balkon-Szene, deutlichster und unverkennbarer Anklang an „Romeo und Julia“, und verabreden sich für den nächsten Tag. Die puerto-ricanischen Frauen (allen voran die umjubelte Marina Maniglio als Anita) ziehen indes mit „America“ angeregt ein Resümee über den für sie oft enttäuschenden amerikanischen Traum – alles ist möglich – soweit es die ethnischen Grenzen und Vorurteile im Land der ach so unbegrenzten Möglichkeiten erlauben.
Der akrobatisch und kraftvoll inszenierte Kampf eskaliert trotz Appellen zur Vernunft in Gewalt. Bernardo ersticht Riff, worauf Tony Bernardo tötet. Nachdem Maria ihren Freundinnen fröhlich-verliebt im Brautmodengeschäft eröffnet, dass sie heiraten wird, überbringt Chino (Ynze Julian Lanser) von den Sharks die Nachricht von Tonys schrecklicher Tat. Maria ist verzweifelt und geschockt, vergibt Tony jedoch und sie planen, zusammen zu fliehen – an einen Ort „Somewhere“, frei von Hass, Kämpfen und Vorurteilen. Tony verlässt sein Versteck, als Anita seinen Leuten aus Rache fälschlicherweise sagt, Maria sei tot. Er fordert Chino auf, ihn ebenfalls zu erschießen – tragischerweise just in Marias Armen. Angehörige beider Gruppen tragen Tonys Leichnam gemeinsam fort – als Sinnbild für die Hoffnung auf eine versöhnlichere Zukunft.
Ein rundum gelungener Premieren-Abend mit liebevoll gestaltetem Bühnenbild und Kostümen, großartigen sängerischen, tänzerischen, schauspielerischen und musikalischen Darbietungen und Denkanstößen zu leider immer noch aktuellen Konflikten. Die Aufführungen laufen bis 10. August, Infos unter www.musicalsommer.tirol.